8.3.3 Eine Fallstudie

Der Einfluß von Cu in Al gibt ein sehr schönes und verhältnismäßig einfaches Beispiel für den Einfluß von atomar gelösten Fremdatomen und Ausscheidungen wechselnder Art und Größe auf RP.
Dies ist eine Kurzfassung der entsprechenden Fallstudie aus dem Buch von Ashby und Jones, eines der besten Lehrbücher zur mehr mechanisch orientierten Materialwissenschaft.
Wir nehmen Al mit 4 % Cu (Gewichtsprozent). Um das Cu komplett atomar zu verteilen, halten wir die Legierung einige Zeit bei T > 550 oC.
 
Phasendiagramm Cu - Al
Das Phasendiagramm zeigt eindeutig, daß dann die Löslichkeit höher liegt als 4 %.
Anschließend wird abgeschreckt, (engl. "to quench"), d.h. so schnell als möglich abgekühlt - z.B indem man die Proben in kaltes Wasser oder Öl fallen läßt.
Danach bringen wir die Proben auf z.B. 150 oC (sie werden getempert) und messen jetzt in regelmäßigen Zeitabständen (bei Raumtemperatur) RP an einer Probe, die wir zu diesem Zweck entnehmen (und anschließend entsorgen). Tage und Wochen lang, eine Probe nach der anderen, bis wir keine mehr haben.
Ein aufwendiges und langwieriges Experiment, insbesondere falls wir das ganze dann noch für andere Tempertemperaturen und Cu Konzentrationen wiederholen.

Was wir erhalten, sieht so aus:
Festigkeit von Al - 4% Cu
RP sinkt erst deutlich, steigt dann in zwei "Wellen" an, um dann langsam wieder zu sinken (man beachte die logarithmische Zeitskala). Was geschieht?
Das Phasendiagramm sagt uns, daß im thermodynamischen Gleichgewicht bei 150 oC die Phase a (= Al + ca. 0,1 % Cu) und Q (= CuAl2) nebeneinander vorliegen. Da wir sehr viel mehr Al als Cu haben, erwarten wir CuAl2-Ausscheidungen in einer (Al + 0,1 % Cu) Matrix.
Wir starten aber mit atomar verteiltem Cu. Was wir an der RP(t) Kurve ablesen können, ist der Weg ins Gleichgewicht, die Kinetik der CuAl2-Ausscheidungsbildung und die Wirkung des sich ändernden Gefüges auf RP.
Wie sich die Ausscheidungen bilden, können wir nicht ohne weiteres wissen. Hier kommt sie Analytik ins Spiel; insbesondere die Durchstrahlungselektronenmikroskopie (TEM) und diverse Röntgenmethoden.
Nach dem RP Test untersuchen wir die Probe auf ihre exakte Mikrostruktur. Das Experiment ist jetzt eine Doktorarbeit - falls wir in der Lage sind, die gesamte Theorie noch anzuhängen, und damit die experimentellen Befunde zu erklären.
Was ist nun geschehen? Das ist - im großen ganzen - gar nicht schwer zu verstehen:
Wir starten mit atomar gelösten Fremdatomen in relativ hoher Konzentration - wir erwarten damit ausgeprägte Mischkristallhärtung (engl."Solution hardening") und damit ein erhebliches größeres RP als in reinem Al zu Beginn der Messung.
Ausscheidungsbildung heißt unumstößlich, daß Cu Atome durch das Al Gitter diffundieren müssen, so daß sie sich gegenseitig finden können. Jede einzelne Ausscheidung beginnt als "Zweier-Cluster" von 2 Cu Atomen, wird zum Dreierpack - usw.
Diese Kleinstagglomerate werden beim Versetzungspinning kaum wirkungsvoller sein können als einzelne Atome - aber ihre Konzentration ist nur die Hälfte bzw. 1/3 der atomaren Cu Konzentration. RP wird dadurch zunächst nur kleiner werden können.
Mit langsam größer werdenden Ausscheidungen kommt eine Trendwende.
Die Ausscheidungen haben eine Größe erreicht, mit der sie Versetzungen immer massiver behindern können, irgendwann sind sie trotz geringerer Dichte effektiver als die atomar gelösten Cu Atome - RP steigt wieder an.
Warten wir zu lange, werden große Ausscheidungen auf Kosten der kleineren wachsen (man nennt das "Ostwald Reifung"). Dadurch verringert sich die Dichte, RP nimmt wieder ab und erreicht, falls wir lange genug warten, den intrinsichen Wert - das Cu ist jetzt völlig wirkungslos.
Das ist alles richtig, erkärt aber nicht die "Wellen" und die genaue Gestalt der Kurve. Um das zu verstehen müssen wir die Details der Ausscheidungsbildung studieren.
 
GP-Zonen
Die erste Agglomeratsform, die sich bildet, ist etwas spezielles: Sogenannte Gunnier-Preston Zonen (immer abgekürzt als"GP-zones".
Das sind, wie links gezeigt, winzige (Durchmesser im 10 nm Bereich) Cu-Scheibchen in der Al Matrix, die das Gitter kräftig verspannen und Versetzungen ganz effektiv festhalten können.
Sie sind verantwortlich für den Wiederanstieg von RP und für die erste "Welle" in der Kurve.
   
Mit den GP-Zonen haben wir aber noch kein Gleichgewichts CuAl2. Die Bildung dieser (großen) Ausscheidungen läuft, etwas überraschend, in drei Stufen:
Zunächst bilden sich aus einigen GP-zones erste CuAl2 Auscheidungen mit einer spezifischen Gitterstuktur, die zwar relativ gut ins Al Gitter paßt - aber nicht die Gleichwichtstruktur von CuAl2 ist. Diese Q'' genannte Phase wächst auf Kosten der GP-zones, die sich auflösen und das benötigte Cu freisetzen.
Gleichzeitig beginnt an Versetzungen und Korngrenzen die Nukleation des "richtigen" CuAl2, allerdings ist der wachsende Kristall noch ganz spezifisch in das Al Gitter eingebaut und stark verspannt. Diese Q' Phase wächst langsam auf Kosten der Q'' Phase, die schließlich komplett verschwindet.
Und das ganze nocheinmal! CuAl2, aber jetzt mit beliebiger Orientierung zum Wirtsgitter, beginnt an Korngrenzen und an den Ecken der Q' Phase zu wachsen - jetzt relativ kugelförmig, da ohne Beziehung zum Al Gitter. Das ist die eigentliche Q Phase. Die Q' Phase verschwindet wieder.
Warum geht die CuAl2 Ausscheidungskinetik einen derart komplizierten Weg? Weil die Oberflächenergie der Phasengrenze CuAl2 - Al bei kleinen Ausscheidungen minimiert werden muß! Sonst ist keine Keimbildung möglich.
Die diversen Q Phasen unterscheiden sich nicht sehr in ihrem "Festhaltevermögen" für Versetzungen. Da ihre Größe kontinuierlich zunimmt, wird der mittlere Abstand größer, und RP sinkt kontinuierlich.
Das RP(t) Diagramm zeigt diese Stufen der Ausscheidungsbildung schematisch. Ebenfalls eingezeichnet sind die äußeren Spannungen, die man bräuchte um diejeweils vorliegenden Ausscheidungen zu schneiden, bzw. mit dem Orowan Prozeß zu umgehen.
Es gibt ein deutliches Maximum bei einer Spannung, die etwa dreimal höher liegt als die ca. 130 MPa intrinsische Festigkeit des Materials. Das ist ein beachtlicher Faktor!
Was würde passieren, wenn wir die Temperung bei ca. 40 oC durchführen oder unser auf maximale Festigkeit optimiertes Produkt in den Tropen längere Zeit verwenden wollen? Vermutlich genau dasselbe - nur wird es entsprechend länger dauern. Wieviel länger, können wir versuchen abzuschätzen:
Der zeitbestimmende Prozeß ist wahrscheinlich die Diffusion von Cu in Al. Wir können in etwa davon ausgehen, daß dieselben Zustände erreicht sind, falls die Cu Atome dieselben mittleren Distanzen zurückgelegt haben, d.h. dieselben Diffusionslängen L aufweisen.
Die Diffusionlänge war
L = (D · t)½
Wir haben also für gleiche Alterung
L(T1)
L(T2)
 =  1  =   D(T1) · t1
D(T2) · t2
 =   t1 . exp–(HM/kT1)
t2 . exp–(HM/kT2)
 =   t1
t2
· exp HM
k
(1/T2 – 1/T1)
Der entscheidende Parameter ist also die Wanderungsenergie des Cu Atoms in der Al Matrix. Hier wird hoffentlich deutlich, warum Bildungs- und Wanderungsenergien so fundamental wichtige Größen sind.
 

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)