8.3.2 Mischkristall-, Ausscheidungs- und Dispersionshärtung

Mischkristallhärtung

Die einfachste Methode, die Fließspannung RP zu vergrößern, d.h. den Kristall härter zu machen, besteht im Einbau extrinsischer atomarer Fehlstellen, d.h. von substitutionellen oder interstitiellen Fremdatomen.
Das bekannteste Beispiel für Härtung mit interstitiellen Fremdatomen ist C in Fe - aus weichem Eisen wird harter Stahl. Weniger bekannt ist z.B. O in Si - damit wird Si bei hohen Temperaturen ebenfalls "härter" und es ist etwas einfacher, die für elektronische Bauelemente tödliche plastische Verformung zu vermeiden.
Zn in Cu oder Cu in Al sind Beispiele für Härtung mit substitutionellen Fremdatomen.
Man nennt diese Form der Härtung "Mischkristallhärtung"; ein nicht besonders glücklicher Name (welche Kristalle werden denn bei C in Fe "gemischt"?).
Wie funktioniert Mischkristallhärtung im Versetzungsbild? Zunächst machen wir uns klar, daß eine Versetzung, die auf ein Fremdatom trifft, dort lokal andere Bindungsverhältnisse der Atome spürt.
Mischkristallhärtung Mischkristallhärtung 2
Damit kann es lokal schwieriger werden, den Versetzungskern zur nächsten Netzebene zu bewegen. Der Effekt ist, daß die Versetzung lokal etwas festhängt, sie ist "gepinnt" wie man im gebräuchlichen Denglisch sagt.
Liegt jetzt auf der Gleitebene eine Scherspannung vor, die die Peierls Spannung oder intrinsische Fließgrenze ti überschreitet, wird die Versetzung loslaufen - und zwischen den Fremdatomen kann sie das auch.
Aber an den Fremdatomen hängt sie fest. Als Gesamteffekt wird sie sich nur ausbauchen, wie oben rechts gezeigt. Erst bei erhöhter Spannung wird es ihr gelingen, sich von den Fremdatomen loszureißen.
Versetzungsbewegung erfolgt jetzt also unstetig, als eine Art Hindernislauf.
Um wie viel muß die Scherspannung in der Gleitebene (engl. "resolved shear stress") erhöht werden, damit die Versetzungen wieder beweglich werden?
Wir nennen diese zusätzlich notwendige Spannung ts ("s" steht für "solution"), eine genaue Analyse ergibt die Beziehung
tMK = kMK · (cs)½
Dabei ist cs die Konzentration der Fremdatome, und ks eine Proportionalitätskonstante.
Spannend ist natürlich ks. Es ist eine Materialkonstante, die aber für jede Sorte Fremdatom anders sein wird. Manche Fremdatome werden große Wirkung zeigen, manche nur kleine. Einige Beispiele dazu
4% Cu in "normalem" Al erhöhen RP auf ca. 180 MPa ausgehend von einem stark schwankenden Wert von (25.... 100) MPa. Das ist eine Verdopplung bis Versiebenfachung; schon eine recht kräftige Härtung. Wir können bloß nicht ganz sicher sein, daß das Cu auch durchweg atomar gelöst ist.
Hier einige Messungen
Mischkristallhärtung im Experiment Mischkristallhärtung im Ni - Cu System
Die Wurzelabhängigkeit von der Konzentration ist bei den kleinen Konzentrationen im Bild links noch nicht richtig zu sehen, wohl aber bei großen Konzentrationen im Bild rechts.
Für Eisen mit gelösten Fremdatomen (man nennt das dann auch Stahl) gibt es ein sehr ähnliches Bild.
 
Ausscheidungs- und Dispersionshärtung
   
Da atomare Defekte bereits sehr effektiv Versetzungsbewegung behindern können, ist es nicht verwunderlich, daß größere dreidimensionale Defekte das auch tun. Dies gilt insbesondere für Ausscheidungen und Dispersionspartikel.
Ausscheidungen sind, wie bereits behandelt, kleine Teilchen einer zweiten Phase, die durch Agglomeration von Fremdatomen entstanden sind. Sie können also - je nach thermischer Behandlung und Phasendiagramm - wachsen und schrumpfen.
Dispersionspartikel sind Teilchen einer zweiten Phase, die schon in der Schmelze vorhanden waren; sie sitzen damit relativ unveränderlich im Wirtskristall.
Beide 3-D Defekte sind massive bis unüberwindliche Hindernisse für die Versetzungsbewegung, erhöhen also immer RP.
Die zusätzlich notwendige Spannung tAus um Versetzungen durch den Kristall zu jagen, ist
tAus  =  2G · b
<l>
Mit G = Schermodul; b = Burgersvektor; <l> ist der mittlere Abstand zwischen den Ausscheidungen.
Wieso bewegen sich Versetzungen überhaupt noch, falls Ausscheidungen unüberwindliche Hindernisse sein können?
Aus dem gleichen Grund, der Eidechsen beweglich hält, selbst wenn man sie am Schwanz festhält: Sie lassen einen Teil ihrer selbst zurück. Wie das geht ist unten gezeigt.
Orowan Mechanismus
Die Versetzung kommt von oben und nähert sich einer Reihe von Ausscheidungen, an denen sie festgehalten wird.
Die auf die Versetzung wirkende Kraft ist als schwarzer Pfeil an einigen Punkten eingezeichnet, sie steht immer senkrecht auf der Versetzungslinie.
Die Versetzung baucht sich aus. Dabei zieht die in der Gleitebene vorhanden Scherspannung, die Linienenergie (die nicht umsonst die Dimension einer Kraft hat, nämlich Energie pro cm, und deswegen auch Linienspannung heißt), zieht zurück. Falls die Scherspannung zu klein ist, bleibt die Versetzung ausgebaucht liegen.
Falls die Scherspannung aber ausreicht, um die vorletzte Konfiguration zu produzieren, werden sich benachbarte Ausbauchungen berühren und reagieren. Das Resultat ist ein Versetzungsring um die Ausscheidung, und eine regenerierte Versetzung, die der Ausscheidung ein Schnippchen geschlagen hat.
Die Rechnung dazu ist relativ einfach und ergibt die obige Formel, die als wesentliche Kenngröße den mittleren Abstand <l> zwischen den Ausscheidungen hat.
 
Daß die Versetzungsbewegung tatsächlich so abläuft, zeigt das folgende elektonenmikroskopische Bild von A. Appel (GKSS Geesthacht)
 
Versetzungen in Ti-Al
Die Versetzungen sind hier als weiße Linien zu sehen.
Das Material ist eine Ti - Al Legierung, die seit einiger Zeit als neuer hochtemperaturfester Leichtmetallwerkstoff entwickelt wird; insbesondere für Turbinenanwendungen.
Es is sehr schön zu sehen, wir die Versetzungen sich um kleine (und hier nicht sichtbare) Hindernisse herumwinden; zwischen den Hindernissen sind sie ausgebaucht.
Die weißen Flecken sind die Überbleibsel von Versetzungen, die sich losgerissen haben.
 
Aha! Man kann also jedes Material kräftig härten, indem man ganz viele kleine Ausscheidungen produziert. Gemach! Im Prinzip: Ja -aber!
Sind die Ausscheidungen zu klein, schneidet die Versetzung sie einfach durch. Die Abgleitung in der Ausscheidung erfolgt dann ausnahmsweise blockweise.
Schneiden von Ausscheidungen
Sind es zu viele Ausscheidungen, haben wir wahrscheinlich ein insgesamt ganz anderes Material, nicht nur einen härteren Ausgangskristall.
Außerdem - wie machen wir das? X % irgendwas in ein Material eingebracht bildet nicht automatisch viele kleine Ausscheidungen, nur weil wir das gerne hätten.
Für eine gegebene Konzentration an Fremdatomen wird es irgendein Optimum geben - eine machbare Mischung aus noch atomar gelösten Fremdatomen und ein Spektrum an Ausscheidungsgrößen das dann automatisch auch die mittleren Abstände bestimmt.
Es ist dabei klar, daß beide Mechanismen sich nicht einfach addieren. Im Prinzip wird der Mechanismus mit der höchsten notwendigen Spannung das Verhalten dominieren. Der jeweils andere wird aber auch noch etwas beitragen, und sei es nur, die Versetzungsbewegung zu verlangsamen.

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)