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Wir benutzen zunächst die rein geometrische
Definition der reziproken Gittervektoren um eine rein geometrische Konstruktion des
reziproken Gitters durchzuführen. Die bereits gemachte Definition soll zunächst
hier wiederholt werden. |
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Ein reziproker Gittervektor Ghkl hat folgende
Eigenschaften: |
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1. Ghkl steht senkrecht auf der Ebenenschar {hkl}.
2. Die Länge von Ghkl ist proportional zum reziproken
Abstand der Netzebenen, es gilt immer |
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Das läßt nur noch das Vorzeichen der Richtung offen; wir bräuchten dazu noch
eine weitere Vereinbarung. Da aber die Richtung (d.h. wohin der Pfeil zeigt) reine Konventionssache und damit zunächst
belanglos ist, schauen wir hier großzügig darüber hinweg bzw. lassen Ghkl
und -Ghkl zu. |
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Damit haben wir alles, um für ein beliebiges Raumgitter das zugehörige
reziproke Gitter zu konstruieren; dies ist im folgenden gezeigt und erläutert. |
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| Raumgitter |
Reziprokes Gitter |
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Links ist das (zweidimensionale) Raumgitter gemalt - das sind die rosa
Punkte
. Weiterhin sind einige Ebenenscharen eingezeichnet; jede Schar hat eine eigene Farbe.
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Auf einer Ebene der Ebenenschar, die durch ihre Miller
Indizes (hk) gegeben ist, wird der reziproke Gittervektor konstruiert und eingezeichnet. Die Länge dieses ersten
reziproken Gittervektors können wir (noch) willkürlich wählen (damit legen wir die m– 1
Skala fest), die restlichen müssen sich an die dann definierte Skala halten. |
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Wir wiederholen die Prozedur auf den restlichen Ebenen; damit bekommen wir einen Satz von
Vektoren, den wir allgemein mit Gij bezeichnen. Alle Gij zeichnen wir
jetzt von einem gemeinsamen Ursprung aus ein. |
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Rechts im Bild ist das gemacht: Alle reziproken Gittervektoren sind von einem
gemeinsamen Ursprung aus eingezeichnet. Ihr Endpunkte definieren zwangsläufig das
reziproke Gitter. |
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Für Puristen: Es ist natürlich in dieser Konstruktion nicht unmittelbar klar und
bewiesen, daß der gewählte Satz von reziproken Gittervektoren ein Gitter aufspannt, in dem sich dann alle anderen
möglichen reziproken Gittervektoren wiederfinden. Oder anders ausgedrückt: Dass alle reziproken Gittervektoren
sich als Linearkombination von zwei "elementaren Basisvektoren" darstellen
lassen. |
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Schließlich würden die Endpunkte eines Satzes beliebiger
Vektoren, von einem gemeinsamen Ursprung aus aufgetragen, nur einen beliebigen Punkthaufen definieren. Wenn man aber bedenkt,
daß nach der Wahl zweier (niederindizierten) Ebenenscharen alle anderen Ebenenscharen festliegen, ist zumindest plausibel,
dass das auch für die reziproken Gittervektoren gilt. Man kann das mit ein bißchen Geometrie leicht zeigen: nach
der Wahl von G01 und G10 kann G11 nur noch als
G11 = G01 + G10 dargestellt werden. usw. |
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Das Bild verdeutlicht: Raumgitter und reziprokes Gitter sind in eindeutiger
Weise korrelliert; hat man das eine, kann man das andere konstruieren. |
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Außerdem wird die Indizierung
der (gelben) Gitterpunkte des reziproken Gitters klar: Jeder Gitterpunkt symbolisiert eine Ebenenschar
des Raumgitters. |
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Damit bekommen wir eine erste Ahnung, warum das reziproke Gitter manche Dinge einfach macht:
Alle niedrig indizierte Ebenen - und das sind in der Regel die wichtigen - finden sich in den ersten paar Gitterpunkten
um den Ursprung wieder- was "weiter draußen" liegt, kann man oft schlicht vergessen. |
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Formale Definition und Eigenschaften |
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Formal definiert man das reziproke Gitter, indem man seine drei
Basisvektoren gi; i = 1,2,3 angibt. Es gilt folgende Definition für drei
Raumdimensionen: |
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Wenn
a1, a2, a3 die primitiven
Translationsvektoren des Kristallgitters
(= Raumgitter) sind, dann lassen sich die primitiven Translationsvektoren g 1, g2,
g3 des reziproken Gitters nach folgender Vorschrift bestimmen: |
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g1 = 2p · |
a2 × a3
a1 · (a2 × a3) |
= 2p · |
a2 × a3 V |
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g2 = 2p · |
a 3 × a1
a1 · (a2 × a3) |
= 2p · |
a3 × a1 V |
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g3 = 2p · |
a1 × a2
a1 · (a2 × a3) |
= 2p · |
a1 × a2 V |
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Das Spatprodukt
im Nenner gibt dabei das Volumen der Elementarzelle an. Damit ist auch die Richtung
der reziproken Gittervektoren eindeutig definiert. |
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Jetzt müssen wir natürlich zeigen, dass die geometrische und die formale Definition
identisch sind. Das machen wir, indem wir systematisch die Eigenschaften der formalen Definition bestimmen. |
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Formal definierte reziproke Gittervektoren haben folgende Eigenschaften (die wir
in einer Übung beweisen): |
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1.
Jeder Punkt des reziproken Gitters kann durch einen Translationsvektor G des reziproken
Gitters erreicht werden; G ist dabei wie üblich durch eine Linearkombination der Basisvektoren
gi darstellbar. Sinnvollerweise machen wir das in dem Koordinatensystem, das durch die oben
definierten gi aufgespannt wird. Damit gilt |
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Gh,k,l = ( h ·
g1 + k · g2 + l · g3)
h,k,l = ganze Zahlen =
Miller Indizes
der zu Gh,k,l gehörenden Ebenenschar |
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Die h,k,l = ganze Zahlen sind dann die Miller Indizes der zu G
gehörenden Ebenenschar (siehe Punkt 2.). Falls wir reziproke Gittervektoren in Komponenten darstellen, benutzen wir
natürlich runde Klammern (hkl) für spezifische reziproke Gittervektoren und geschweifte Klammern {hkl}
für alle kristallographisch gleichwertigen reziproke Gittervektoren. Auch lassen wir zukünftig den Index "h,k,l"
am G eher weg um Schreibarbeit zu sparen. |
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Wir werden natürlich niemals den
Miller Index "k" mit dem Betrag des Wellenvektors k verwechseln! |
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Weiterhin müssen wir uns bewußt sein, daß die
gi nicht notwendigerweise ein cartesisches KO System aufspannen und daß ihre
Länge im von ihnen aufgespannten KO System zwar per definition = "1" ist, nicht aber, wenn
wir sie in cm–1 messen. |
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Nehmen wir als einfachstes Beispiel ein kubisches Raumgitter mit |ai|
= 1 cm. Das reziproke Gitter ist dann ebenfalls kubisch mit den Basisvektoren gi und
|gi| = 2p cm–1. Translationsvektoren in beiden
Gittern schreiben sich dann so |
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Raumgitter |
Reziprokes Gitter | Basissystem |
cm System | Basissystem |
cm1 System |
T = (u, v, w) | T = (u,
v, w) cm | G = (h, k, l) |
G
= 2p · (h, k, l) cm1 |
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Während wir im (kubischen) Raumgitter
also in beiden Systemen die formal gleiche Darstellung haben, gilt das nicht für
das reziproke Gitter. Bildet man beispielsweise ein Skalarprodukt zwischen einem reziproken
Gittervektor und einem Wellenvektor (der ja auch die Dimension cm–1 hat, d.h. im Raum des reziproken
Gitters definiert ist, darf man den Faktor 2p nicht vergessen! |
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2. Der reziproke Gittervektor G = (h,k,l)
steht senkrecht auf der Netzebenenschar des Raumgitters mit den Miller-Indizes {h
k l}. |
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Die Richtung ist jetzt durch die formale Definition ebenfalls festgelegt, aber immer noch
ziemlich uninteressant, da die Ebenen {hkl} und {–h–k–l} im Gitter identisch sind |
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Das gilt übrigens nicht immer, falls wir reale Kristalle
betrachten. Falls Vorzeichen so gewählt sind, dass z.B. auf der {111} Ebene von GaAs die Ga
Atome liegen wenn man auf den Kristall "draufschaut", liegen auf der {-1, -1, -1} Ebene (der Rückseite
des realen Kristalls) automatisch die As Atome. Die physikalischen Eigenschaften dieser "{111}"
Kristalloberflächen können grundverschieden sein! |
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3. Der Abstand dhkl zweier Ebenen der Netzebenenschar
mit den Miller Indizes {h k l} ist |
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4. Es gilt immer |
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Dabei ist dij = Kronecker Symbol, d.h. |
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dij = |
{ |
1 für i = j 0 für i ¹ j |
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Man kann das auch umdrehen und die erste Gleichung als Definition
des reziproken Gitters betrachten. Sie hat den Vorteil dass sie nicht nur im Dreidimensionalen gilt, sondern für alle
Dimensionen, z.B. auch für Kristalle in sechsdimensionalen Räumen. Wer das für abwegig hält, hat in
MaWi I den diesbezüglichen Fortgeschrittenenmodul
nicht angeschaut. |
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5. Es gilt immer |
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G · T | = |
2 p · n | |
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und damit | |
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| e i · G
· T = ei · 2 p
· n = 1 |
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Mit n = ganze Zahl und T = beliebiger Translationsvektor
des Raumgitters. |
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Das ist, wie wir noch sehen werden, eine extrem wichtige
Eigenschaft! |
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Jetzt wird es aber Zeit, die Behauptungen 1. - 6. auch zu beweisen - in
einer Übung: |
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Eine letzte Eigenschaft, eigentlich die Haupteigenschaft die alles andere umfaßt,
sei hier nur angedeutet: |
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6. Das reziproke Gitter ist die Fouriertransformierte des Raumgitters. Mehr dazu findet sich im Link. |
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Das bedeutet schlicht, daß jede im Kristall
(jetzt nicht mehr nur im Gitter!) periodische Funktion (z.B. die Elektronendichte r(r)
= r (r + T)) nach durch das reziproke Gitter vorgegebene "Ortsfrequenzen"
Ghkl
entwickelt werden kann. |
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Was das bedeutet wollen wir uns verdeutlichen indem wir danach fragen, wie wir
vom reziproken Gitter als Repräsentation des Raumgitters zum Kristall
kommen: |
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Wir haben bereits festgehalten, daß reziprokes
Gitter und Raumgitter äquivalent sind; eines
kann aus dem jeweils anderen in eindeutiger Weise konstruiert werden. |
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Aber aus den Raumgitter kann ich einen Kristall
machen - indem ich z.B. im einfachsten Fall auf jeden Gitterpunkt ein Atom setze. |
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Es ist natürlich sinnlos, auf einen reziproken Gitterpunkt ein Atom zu setzen.
Der dann erhaltene Kristall ist halt irgendein
Kristall, er hat aber mit dem zum betrachteten Raumgitter gehörenden Kristall nichts zu tun. |
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Stattdessen setze ich auf jeden reziproken Gitterpunkt die zugehörige Fourierkomponente der betrachteten Kristalleigenschaft
. Ein "Atom" ist z.B durch die lokale Elektronendichte r (r)
für viele Zwecke hinreichend definiert. |
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In Formeln sieht die Fourierentwicklung
von z.B. der Ladungsdichte r(r) nach Komponenten bei reziproken Gitterpunkten
G so aus |
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r(r) = |
G S
G |
nG · exp (i · G · r) |
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Die Fourierkoeffizienten nG erhält man aus |
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nG = | 1 V |
· | ó õ
V |
r(r) · exp – (i · G · r) · dV |
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Das Bild unten zeigt schematisch, was das für ein einfaches Beispiel bedeutet |
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Wir haben in irgendeine beliebige Richtung x eine periodische Funktion für
die Elektronendichte r(x). In eine andere Richtung sieht r
anders aus, ist aber immer periodisch. |
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Die Fourierentwicklung produziert für jeden reziproken Gitterpunkt eine Fourierkomponente
nG, deren Wert durch die Größe der blauen Kreise angedeutet ist. |
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Das reziproke Gitter plus die Fourierkomponenten
der im Raumgitter + Basis = Kristall betrachteten (und im Raumgitter periodischen) Eigenschaft enthält jetzt exakt dieselbe Information wie eine komplette Darstellung
des Kristalls - aber oftmals in viel kompakterer und eleganterer Form. |
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Wie im Bild schon angedeutet, werden die Fourierkomponenten rasch klein für große
G-Vektoren, d.h. für nicht "niedrig-indizierte Ebenen". Es reicht also für viele
Zwecke, nur einen kleinen Ausschnitt aus dem reziproken Gitter zu betrachten um genügend genau rechnen zu können. |
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Aber das gilt alles nur für periodische
Eigenschaften. Für nichtperiodische Eigenheiten eines Gitters - zum Beispiel
für seine Gitterdefekte - ist das reziproke Gitter ziemlich witzlos. |
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Zum Schluss noch eine verhältnismäßig einfache, aber gehaltvolle
Übung: |
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Übung
3.3-2 |
Das reziproke Gitter der einfachen Bravaisgitter |
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© H. Föll (MaWi 2 Skript)