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Was ist der Stein der Weisen? In der
Broschüre zur Veranstaltung steht: |
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"Was ist nun der
Stein der Weisen? Die Alchemisten suchten nach ihm als einem Element, das
unedles Metall in Gold verwandeln könnte. Schließlich sollte der
Stein der Weisen Probleme aller Art lösen, zum Beispiel Schönheit und
Gesundheit schenken" |
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Ist es eigentlich weise, so etwas haben zu
wollen? Gold (=Geld) ist ja gut zu haben, aber im Grunde für sich genommen
ziemlich nutzlos. Für Jahrtausende war Stahl das wichtige Material, nicht
Gold. "Magische"
Schwerter (aus Stahl), waren
beispielsweise sehr viel wichtiger und prestigeträchtiger als Gold. Wenn
man schon einen Wunsch frei hat, ist Gold zu wünschen eher töricht
als weise. |
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Aber wir können relativ sicher
sein, daß der Wunsch nach Gold auch nur die vorgeschobene Sichtweise war.
Schon damals mußten die Alchemisten die Nützlichkeit ihrer Forschung
betonen und in Geld = Gold ausdrücken. Die richtigen Alchemisten aber
waren zwar keine Physiker, aber immerhin eine Art Chemiker und nicht so naiv
wie die Betriebswirte und Politiker; sie haben sicherlich Gold nicht als das
Maß aller Dinge betrachtet. Gold und Silber waren Symbole für
Vollkommenheit, für die vollständig gereiften Produkte eines
Universalstoffes, Azoth genannt; die anderen Metalle galten als unreife Form
des gleichen Stoffes. |
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Den Alchemisten war bekannt,
daß man Materialien ineinander umwandeln konnte - aus Steinen und Kohle
konnte man Eisen oder Kupfer machen. Und selbst die Eigenschaften eines
Stück Eisens ließen sich stark ändern: Weiches Schmiedeeisen,
harter und elastische Stahl, sprödes Gußeisen - alles war
vom gleichen
Samen, aber doch mit sehr unterschiedlichem Vollkommenheitsgrad. |
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Die eigentlich Frage war: Wie kann
man die Materialien selbst oder zumindest ihre Eigenschaften ändern? Wie
weit kann man gehen? Aus Kohle und Steinen kann man Eisen machen, daraus Stahl,
daraus ein Schwert oder eine Pflugschar. Warum sollte man nicht auch Gold aus
was anderem machen können? Umwandlungen waren nicht nur möglich, sie
führten zu neuen, technischen Materialien, Dinge, die es in der Natur
nicht gibt - "unnatürliche" Dinge - aber erstaunlicherweise nie
zu Gold - das es in der Natur direkt gibt. Vielleicht gibt es noch mehr solche
Dinge, eine legitime Frage - aber Suchen und Probieren blieb relativ erfolglos,
es braucht einen Stein der Weisen, d.h. etwas Magisches - falls man die Physik
nicht kennt. Magie aber funktioniert nicht; Physik schon. |
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Letztlich ging es also um die
Geheimnisse der Natur und der Materie. Wenn man sie ergründet wird man
nicht nur reich, sondern darüber hinaus sollten auch noch Dinge
möglich sein - Innovationen nennt man das heute - die mit noch so viel
Geld nicht käuflich waren - insbesondere Gesundheit. Dies erklärt den
zweiten Mythos um den Stein der Weisen: die Heilwirkung gegenüber allen
Krankheiten - ein Mythos, der direkt zu erkennen gibt, daß man sich des
begrenzten Wertes von Gold durchaus bewußt war. |
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Die eigentlichen Fragen, den
Alchemisten in dieser Prägnanz natürlich nicht bewußt, waren
also: |
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Was bestimmt die Eigenschaften der Materialien?
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Wie kann man sie ändern? |
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Was kann man damit neues machen? |
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Eigentlich wären sie gerne
Materialwissenschaftler gewesen, denn das ist genau
die Definition der
Materialwissenschaft, der vielleicht jüngsten Tochter der Urmutter
Physik, die im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts ins mannbare Alter
gekommen ist und sich anschickt, das Nest zu verlassen. |
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Was bedingt nun die Eigenschaften
eines Materials - z.B. von Silizium. Was sind wichtige und weniger wichtige
Eigenschaften aus Sicht möglicher Anwendungen? |
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Am Material Si kann man das besonders
schön illustrieren. Man kann damit Gold im Sinne von Geld machen; ein
Blick in die Zeitung oder der Name Bill Gates demonstriert das zur Genüge.
Und Kranke werden, wenn sie mit Si in geeigneter Form in Berührung kommen,
auch wieder gesund - die meisten modernen Diagnoseverfahren, die komplette
Gentechnik - heute oder zukünftig - sowie Produkte wie Herzschrittmacher,
sind ohne Si nicht möglich. Ist der Stein der Weisen in dieser
Interpretation also aus Silizium? Schaun mer mal! |
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Wie lange gibt es
schon Si in technischen Anwendungen? Computer vergessen (fast) nichts, steht in
der Broschüre. Menschen aber schon. Dies zeigt sich sehr schön in
einer Anzeige, die die Firma
Sony in vielen amerikanischen Zeitschriften geschaltet hatte. Wir sehen als
Bräute verkleidete Mädchen mit folgendem Text: |
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"Their
great-grandmother's first kiss was in front of a transistor radio. Their
grandmother's first kiss was in front of a black & white television. Their
mother's first kiss was in front of a car stereo. What will their first kiss be
in front off?" |
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Gibt es Transistoren aus Si oder auch
Ge seit Urgroßmutters Zeiten, also seit ca. 1920? Der erste Transistor
erblickte 1944 das Licht der Welt; die ersten Transistorradios kamen Ende der
50er auf! |
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Aber ein Körnchen Wahrheit hat
der oder die Kreative versehentlich doch eingebracht: Zu
Urgroßmutter-Kußzeiten, war ungefähr die Geburtsstunde der
Quantentheorie, etwas vorher
(1900) entstand die
statistische
Thermodynamik. Daraus entstand die Festkörperphysik und so um 1930
wurde erstmals verstanden, was die Welt im Innersten zusammenhält und was
in Materialien wirklich passiert, wenn man z.B. mit dem Hammer draufhaut
(mechanische Spannung anlegt) oder aber auch eine elektrische Spannung anlegt.
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Der Transistor entstand 1946 als
Resultat von Theorien; wir können ihn als Paradigma für Produkte
betrachten, die nicht empirisch erfunden und verfeinert wurden wie zum Beispiel
die Metallurgie, sondern die durch moderne physikalische Theorien vorher
berechnet wurden! Das Schlüsselmaterial dazu ist Silizium (nach einer
kurzen einleitenden Germanium Phase). |
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Was ist nun Silizium? Wenn man
Zeitung liest, kann man nicht so genau wissen was Silizium eigentlich ist. Denn
dort fliegt das Space Shuttle mal mit Kacheln aus Silizium, um vor der Hitze
geschützt zu sein, oder Transistoren sind aus Silikon. Das kommt daher,
daß im Amerikanischen drei völlig verschieden Materialien
ähnlich lautende Namen haben und die Chancen der richtigen
Übersetzung ungefähr bei 1/3 liegen. |
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Silicon=Silizium, |
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Silica=Quarz |
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Silicone=Silikon |
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Auch mit
Silikonen kann man was
Unnatürliches machen, aber richtiges Silizium ist sehr viel
vielseitiger als Silikone, Quarz oder auch Silizide und was es sonst an
Verbindungen mit Si noch gibt. |
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Si ist ein chemisches Element und
gehört zur Klasse der Halbleiter. Es repräsentiert hier immer die
Klasse der Halbleiter oder der modernen Materialein, so wie auch der Terminus
"Physik" die Nachbarwissenschaften wie z.B. die Materialwissenschaft
oder Elektrotechnik mit einschließen soll. Si wird immer künstlich
hergestellt, es kommt in der Natur nicht elementar vor (auch wenn diverse
Politiker gelegentlich glaubten, daß man es im Silicon Valley aus der
Erde buddelt). Man braucht einen ziemlich großen Stein der Weisen - im
Wissenssinn - , um dem Naturmaterial Siliziumoxid, vulgo Sand, die riesigen,
bis zu 250 kg schweren und extrem perfekten großen Silizium
Kristall abzuringen, die heute Stand der Technik sind. |
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Würden diese
Kristalle
nicht aus Si Atomen, sondern aus Kohlenstoffatomen bestehen, wäre es
gigantische, absolut lupenreine Diamanten - und das wäre schade, schade,
schade, denn mit Diamanten kann man ähnlich wie mit Gold, nicht so
furchtbar viel anfangen. |
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Wir alle würden unsere Diamanten und unser
Gold für eine Computertomographie eintauschen,
ermöglicht durch Silizium, wenn der Arzt damit unser Leben retten
könnte! |
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Daß man mit Si nicht nur gesund
werden, sondern auch mächtig Geld machen kann, soll noch
kurz gezeigt werden: |
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Si - Kristalle, noch 1960 fast unbekannt und
klitzeklein, machen heute einen Weltumsatz in der Größenordung von
ca. 10 Milliarden DM. |
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Der Weltumsatz mit Chips, die es 1960 noch gar
nicht gab, liegt jetzt bei ca. 300 Milliarden DM. |
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Der Umsatz aller industriellen Produkte, die es
ohne "Silicon inside" nicht geben würde (oder die nicht mehr
verkäuflich wären), liegt bei ca. 5000 Milliarden DM - ein Viertel
der industriellen Weltproduktion! |
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Vor allem aber hat Si die
Lebensqualität erhöht und Arbeitsplätze geschaffen. Was macht
man mit Silizium? Und wie macht man diese Dinge? Wo kommt die Physik bzw.
Materialwissenschaft herein? Das wird im folgenden an einigen Beispielen
erläutert. |
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Das Leitprodukt der Mikroelektronik
ist der Chip. Was ist ein Chip? Nicht
alles, was klein ist, kompliziert aussieht und elektrische Anschlüsse hat
ist auch ein Chip - obwohl man das öfter so beschrieben oder
abgebildet findet.
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Ein Si-Chip ist eine elektronische
Schaltung, die zur Zeit bis zu 10 Milliarden elektronische Bauteile -
insbesondere Schalter, auch Transistoren genannt, aber auch Kondensatoren und
andere elektronische Komponenten - in und auf einem Si - Kristall auf einer
Fläche von ca. (1 - 3) cm2 integriert. |
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Wie ein Chip aufgebaut ist soll hier
nicht wiedergegeben werden (siehe
Internet); wohl aber was
Physik und Chips miteinander zu tun haben. |
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Was ist und wie funktioniert der
(integrierte) Transistor? Er ist im wesentlichen
ein Schalter,
der aber nicht mechanisch, sondern elektronisch betätigt wird - und zwar
ein sehr kleiner! Ein Relais ist zwar auch ein Schalter, der elektrisch
betätigt wird, aber letztlich erfolgt nur die mechanische Bewegung durch
einen elektrischen Antrieb. Bei einem Transistor aber wird nur durch
elektrische Spannung an einer der drei Elektroden der Strom durch die zwei
anderen Elektroden ein- und ausgeschaltet - nichts muß sich bewegen. Dazu
muß offenbar die elektrische Leitfähigkeit zwischen den
Stromanschlüssen stark verändert werden können. Das geht
grundsätzlich nicht mit guten Leitern wie Metallen oder Isolatoren wie
Glas - ihre Leitfähigkeit ist von außen praktisch nicht zu
beeinflussen. Metalle leiten elektrischen Strom immer, Isolatoren nie. Man
braucht deshalb "Halbleiter", die nicht nur
"dazwischen" liegen müssen, sondern in ihren elektrischen
Eigenschaften steuerbar sind. |
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Der wesentliche Punkt dazu ist: Mit
klassischer Physik geht das grundsätzlich nicht - man braucht die
Quantentheorie (und die statistische Thermodynamik)! Transistoren, damit die
ganze Mikroelektronik, aber auch Dinge wie Laser, Lichtleitfasern,
Schwingquarze, Magnetresonanz usw.; die gesamte Hardware der
Informationstechnologie und noch einiges darüber hinaus, sind reinrassige
Produkte der Quantentheorie - die ja gerne als etwas völlig esoterisches
und weltfremdes dargestellt wird. Wer die
Quantentheorie nicht kennt, wird keinen Transistor machen
können. |
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Wie funktioniert der Transistor? Das
soll hier nicht angesprochen werden (eine Kurzerklärung findet sich jedoch
im Link), nur
so viel: Es ist (unter anderem!) notwendig, in definierten Bereichen des Si
Kristalls einige wenige Si Atome - typischerweise 0,0001 % - durch z.B.
Phosphoratome zu ersetzen; in allen anderen Bereichen aber durch Boratome.
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Wie macht man das? In der veröffentlichten
Meinung ganz eindeutig durch Tüfteln.
Die Worte "tüfteln" oder "Tüftler" tauchen nahezu
mit Sicherheit in jedem Zeitungsartikel zum Thema auf - spätestens wenn
noch das Wort "Patent" dazukommt. Damit assoziiert wird
Daniel
Düsentrieb, der zwar leicht geniale, aber auch leicht
vertrottelte Bastler, der herumprobiert bis was funktioniert und dabei eher
versehentlich auf die "Innovationen" stößt. |
© Disney
Mit freundlicher Genehmigung durch "Disney Publishing
Worldwide". |
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Das Wort "Denker", zum Vergleich, ist den
"Philosophen" zugeordnet - Sartre z.B. gehört dazu (der, wie
heute klar ist, mit bewundernswerter Sicherheit immer auf der falschen Seite
der Wahrheit stand). Und Kreative sind
bekanntlich die Werbetreibenden mit ihren Urgroßmüttern. |
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Durch Tüfteln entsteht kein Chip.
Zur Konzeption und Herstellung von Chips braucht man nicht nur fundierte
Kenntnisse der modernen Physik (und der Chemie, der Elektrotechnik, der
Informatik, ...), sondern man arbeitet an den Grenzen des physikalisch
möglichen! Danach, auf dieser Basis, kommt dann noch die Erfahrung, die
Empirie, die Experimentierkunst - das "Tüfteln", wenn's denn
sein muß. Man kann das stark simplifiziert illustrieren: |
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Wir fragen uns: Wie kommt Phosphor
oder Bor ins Silizium? Es muß ja irgendwie von außen ins
Kristallinnere kommen, wenn wir das systematisch machen wollen. Der Si-Kristall
besteht aber aus Si Atomen, die so dicht wie möglich zusammensitzen und
nur mit großem Energieaufwand zu trennen sind (dann schmilzt der
Kristall). |
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Wie kommt ein Phosphoratom da rein -
und das Si Atom, dessen Platz es einnimmt, raus? |
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Man kann das auf zweierlei Weisen
angehen: Empirisch-systematisch - das ist nicht Tüfteln! - und
grundsätzlich. Schauen wir uns zunächst die
empirische Methodik an. |
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Man setzt Si einem phosphorhaltigen
Stoff aus, macht die Anordnung für einige Zeit heiß, und analysiert
dann, was geschehen ist. War die Temperatur hoch genug (ca. 1000 oC)
und verfügt man über entsprechende Analysemethoden, wird man finden,
daß kleine Mengen Phosphor in den Si Kristall eingedrungen sind. Der
Konzentrationsverlauf als Funktion der Tiefe, der Temperatur, der Zeit usw.
wird Regeln folgen (der Physiker kennt schon viele davon in Form mathematischer
Gleichungen), der gesammelte Erfahrungsschatz, mathematisch aufbereitet, reicht
aus, um Vorhersagen machen zu können, wie man den Prozeß gestalten
muß, um neue Parameter - z.B. eine andere Phosphorkonzentration - zu
erhalten. |
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Damit kann man eine ganze Menge
erreichen, und ganz ohne Empirie geht's nie! Aber früher oder später
stößt man an die Grenzen - bei Silizium war das vor über 20
Jahren. |
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Man kam nicht mehr weiter. Die
bewährten Rezepte funktionierten nicht mehr, wenn man alles noch in
bißchen kleiner machen wollte. Es wurde notwendig, im Detail zu wissen,
wie der Phosphor ins Silizium eindringt. Schauen wir uns nun die Sache vom
Grundsätzlichen her an. |
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Hier ist notwendig zu wissen, wie ein
fremdes Atom - Phosphor im Beispiel - sich im Kristall um einen atomaren
Schritt weiterbewegt. |
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Entscheidend werden Defekte des
Kristalls - fehlende Atome oder falsche Atome - und ihr Verhalten
bezüglich äußerer Parameter. Schlüsselbegriffe sind
Entropie (aus der statistischen Thermodynamik) und atomare
Bindungsverhältnisse (aus der Quantenmechanik). |
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Wieviel Phosphor in den Kristall
"diffundiert" wird eine komplizierte, aber vollständig
erfaßbare Funktion der elementaren Eigenschaften des Si Kristalls und der
gewünschten Atome. Die mathematischen Formeln, die jetzt das Verhalten
beschreiben, schließen die alten empirisch ermittelten Formeln mit ein -
als einfache Spezialfälle - aber sie führen weiter. Vorhersagen sind
wieder möglich; Chips mit zigtausendfacher Leistungsfähigkeit
können hergestellt werden. |
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Ein weiteres Beispiel: Fragen wir
einen "Tüftler" :Wie lange lebt ein Chip? Nach wieviel Jahren
Betriebsdauer wird er (statistisch) ausfallen? Warum? Von welchen
Einflüssen mag es abhängen? |
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Der Tüftler wird die Antwort
schuldig bleiben müssen (der Denker und der Kreative auch). Wiederum
bewegen wir uns in Grenzbereichen moderner und harter Physik (nicht nur bei
Chips, die Frage nach der Lebensdauer eines (hoch)technischen Produktes
gehört zu den schwierigsten Fragen, die man stellen kann). Auch wenn man
als Verbraucher gelegentlich den Eindruck haben kann, daß diese Frage bei
Produktherstellern vielleicht nie gestellt wurde: zumindest bei Chips
trügt dieser Eindruck! Produktqualität und -lebensdauer
beschäftigen Heerscharen von hochqualifizierten Physikern, die nur eines
nicht tun: Tüfteln! |
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Nehmen wir zur Kenntnis:
Mikroelektronik basierend auf dem (quantenmechanischem) Verständnis des
Materials Si, hat die Welt in einer Weise revolutioniert, die noch vor 20
Jahren unvorstellbar war - und Si wird das weiterhin tun. Heute sind Dinge
möglich, die sich die alten Weisen nicht mal im Traum vorstellen konnten.
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Außer dem Stein der Weisen gab
es in der Antike auch noch den Prüfstein, mit dem man feststellen konnte, ob
ein gegebenes Material auch wirklich lauteres Gold war. Den Prüfstein gab
es wirklich; er ist eigentlich genauso wichtig wie der Stein der Weisen, denn
es ist bekanntlich nicht alles Gold was glänzt. Silizium kann in recht
konkretem Sinn auch als eine Art Prüfstein dienen. |
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Dazu ein Witz: Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine "Wie
geht's"? "Schlecht", sagt der andere, "ich habe Homo
sapiens". "Oh", sagt der erste, "das kenne ich, hatte ich
auch mal. Ist richtig eklig, geht in der Regel aber schnell
vorbei". |
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Wenn wir auf
unserem Planeten wollen,
daß es nicht ganz so schnell vorbei geht, dann haben wir keine
große Wahl bei der Energieversorgung: Schon innerhalb weniger
Generationen wird nur noch Sonnenenergie - in Form von Wasserkraft, Wind,
Solarthermik und Photovoltaik zur
Verfügung stehen. Und Photovoltaik heißt Silizium, oder genauer
gesagt, Halbleiter. |
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Wie halten wir es mit dem
Prüfstein Silizium in dieser Hinsicht? Reiben Sie mal sich selbst oder den
Politiker ihre Wahl mit diesem Prüfstein - er wird den Grad der Weisheit
im Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten anzeigen. Aber Solarzellen
bekommt man nicht geschenkt - im doppelten Wortsinne! Sie sind nicht nur teuer
in der Anschaffung, sondern bessere (und billigere) Solarzellen fallen einem
auch nicht durch ein bißchen Tüfteln in den Schoß - wiederum
ist harte (und mühsame) Physik bzw. Materialwissenschaft gefragt. |
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Ein drittes Gebiet für Silizium
ist die Mikrosystemtechnik, oder
"MEMS" (Micro Electronic and Mechanical Systems). Jeder kennt die
Bilder der Ameise, die ein winziges Si Zahnrad herumschleppt, oder
ähnliche Aufnahmen
kleinster Mechanikwunderwerke. Produkte dieser Mikromechanik, -optik, oder
-hydraulik werden zunehmend verkauft und führen ein für die meisten
Menschen unsichtbares "Leben" tief im Inneren von vermeintlich
einfachen, aber in Wahrheit hochkomplexen Produkten - z.B. im Sensor, der den
Airbag dann, und nur dann auslöst, wenn das auch sinnvoll ist. |
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Wie macht man MEMS? Und wieso aus
Silizium und nicht aus Edelstahl oder Fensterglas? Die erste Frage ist leicht
zu beantworten: Mit Mühe und auf der Basis eines Physikstudiums. Aber was
hat Silizium, was Glas nicht hat? Vier Punkte wären zu nennen: |
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Hervorragende mechanische (und thermische und
chemische) Eigenschaften (Si ist, bevor es bricht, ungefähr gleich
belastbar wie Stahl) |
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Die Verfügbarkeit von leicht
strukturierbarem Poly-Si als Schicht, die leicht auf das Grundmaterial
aufgebracht werden kann |
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Die Integrierbarkeit der MEMS Funktion mit der
Elektronik auf demselben Chip |
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Und vor allem: die Vielfalt der
Struktiermöglichkeiten durch (elektro)chemische Ätzung. |
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Es lassen sich beispielsweise
Chemikalien finden, die Si das 0,00001% Bor enthält schnell und restlos
auflösen, aber Si mit dem gleich Prozentsatz an P überhaupt nicht
angreifen. Mit diesen (auch für Chemiker) unerwarteten Eigenschaften
kommen wir direkt zu einem Gebiet der
modernen Forschung. |
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1968 war ein denkwürdiges Jahr.
Die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Material Silizium
überstieg erstmalig die zum Thema Eisen und Stahl. Silizium ist somit das
am besten untersuchte Material auf dieser Seite des Pluto - und das Jahr 1968
markiert in dieser Hinsicht einen tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel,
der weit über das hinausgeht, was sich die "68-er"
erträumten. Gibt es dann noch grundsätzliche Forschungsfragen zum
Material Si? Oder sind nur noch Verzierungen möglich, die Nachbesserung
der Kommastellen? |
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Ein
Gedankenexperiment, das man (Frau
auch) realiter sehr leicht auch zu Hause machen könnte, bringt Klarheit:
Wir nehmen ein Stück (leicht erhältliches) Silizium, hängen es
(kontaktiert) in ein Glas mit konzentriertem Blumendünger oder
Zahnspülmittel (der Profi nimmt verdünnte Flußsäure),
geben eine Edelmetallelektrode dazu (der Profi nimmt Platin, der Schüler
Mutters Goldkette), und schließen das ganze an eine nicht zu schwache
Batterie an (ein regelbares Netzgerät oder gar ein Potentiostat ist
besser). Mit dem Pluspol am Si, und vielleicht noch ein bißchen
Beleuchtung, wird ein Strom fließen, der gemessen wird. |
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Gute Küchenexperimentatoren
nehmen sogar eine Strom-Spannungskennlinie auf und können dann die
Phänomene, die auftreten werden, nach Strom- und Spannungbereichen
sortieren. Zunächst stoßen wir auf eine Merkwürdigkeit: Bei
größeren Spannungen oszilliert der Strom - er wird kleiner und
wieder größer - stundenlang. Nach einiger Zeit nehmen wir die
Si-Elektrode aus Glas und schauen sie genau an - am besten mit einem guten
Mikroskop, noch besser einem Rasterelektronenmikroskop. |
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Für viele
Strom-Spannungskombinationen finden wir, daß sich eine
poröse Schicht
entwickelt hat, mit Porengrößen die von wenigen Nanometern - gerade
mal einige Atomdurchmesser - bis zu fast mit dem bloßen Auge sichtbaren
Poren - den "Makroporen" - reichen. Aber auch ohne Mikroskop kann man
einiges sehen: Wir beleuchten die poröse Schicht mit einer
Ultraviolettlampe ("Schwarzlicht") und unser Si wird gelblich
aufleuchten (lumineszieren), falls es nanoporös geworden ist. Kristallines
Si wird das nie tun und nach gesicherten Erkenntnissen auch gar nicht
können. Sollten wir Makroporen gemacht haben, finden wir bei genauer
Betrachtung einen kompletten Zoo: Perfekte gerade Löcher, wie mit einem
Präzisionsbohrer von 1 µm Durchmesser gebohrt, ziemlich krumme Hunde,
Poren, die wie Weihnachtsbäume aussehen, und noch viele andere
Morphologien. |
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Der Pfiff an der Sache ist,
daß die meisten dieser Phänomene vor etwa 10 Jahren noch nicht
einmal bekannt waren, daß "leuchtende Silizium" eine
fieberhaftes Forschungsaktivität ausgelöst hat - und daß das
Ganze bis zum heutigen Tage nicht so recht verstanden ist. (Nicht verstanden
heißt in der Physik, daß es ungefähr genau so viele
(verschiedene) Erklärungen wie Forscher gibt). |
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Aber das macht ja nichts. Die
Industrie forderte schon immer:
Problem lösen
statt erklären; und heute heißt es aus allen Richtungen
"Mehr Praxisorientierung in Forschung und
Lehre". Die Si-Elektrochemie Forscher haben diese Forderung
befolgt - viele große deutsche Tageszeitungen haben Bilder von
erstaunlichen, elektrochemisch geformten Porenstrukturen unter dem Stichwort
"Photonische Kristalle" gezeigt. Diese Strukturen wurden hergestellt,
ohne die Porenätzung wirklich zu verstehen - es ging. |
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Die Eingeweihten, die hier tätig
sind, wissen aber, daß es so nicht weiter gehen wird. Wie schon beim
Beispiel der Diffusion gezeigt - die Grenzen der Empirie sind erreicht.
Praxisnähe ist gut und richtig, aber die Physiker besitzen auch noch eine
besondere Kernwahrheit; einen
Merksatz mit dem
sie und die Gesellschaft bisher sehr gut gefahren sind! |
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Die Zeit ist gekommen, die
Vorgänge bei der elektrochemischen Auflösung von Si
grundsätzlich zu verstehen. Es zeichnet sich ab, daß dazu eine
interdisziplinäre Mischung aus Halbleiterphysik, Chemie und stochastischer
Physik notwendig sein wird - Begriffe wie Chaos, Synergie und spontane
Musterbildung, bisher fest in der theoretischen Physik verankert, werden
benötigt. Der Forschungsbedarf auf dieser Ebene wird die Physiker und ihre
Kollegen noch für viele Jahre beschäftigen. Neue, darauf basierende
Produkte wird es mit Sicherheit geben, welche - das weiß noch niemand.
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