4.3.2 Die restlichen Defekte

Nochmals plastische Verformung

Die plastische Verformung aller Kristalle
(= aller Metalle) erfolgt ausschließlich durch die Erzeugung und Bewegung von Versetzungen
OK – das haben wir verstanden. Wenn wir unterstellen, dass die Erzeugung von Versetzungen den meisten Kristallen keine Probleme bereitet (das ist so), bleibt nur die Frage, wie leicht oder schwer es einer Versetzung fällt, sich zu bewegen.
Ganz von alleine geht es erfahrungsgemäß ja nicht. Man muss schon mehr oder weniger kräftig drücken oder ziehen, bevor sich ein Material plastisch verformt, d.h. sich die Versetzungen in Inneren bequemen, durch den Kristall zu laufen.
Die minimale mechanische Spannung, die man dazu braucht, heißt Fließgrenze (als RP in Zugversuchsdiagramm eingezeichnet). Die Fließgrenze ist (für Metalle) nichts anderes als die wohlbekannte Härte – auch wenn sie anders gemessen wird und eigene Maßeinheiten hat (der Link gibt Auskunft). Hier sind nochmals einige pardigmatischem Spannungs-Dehnungs-Diagramme:
Zugversuch Verformungsdiagramme
Prinzipbild Reale Materialien
Also – was bestimmt die Fließgrenze oder Härte eines gebenen Metalls?
Man könnte es erraten: die Art und Zahl der Hindernisse, die eine Versetzung auf ihren Weg von hier nach da überwinden muss. Als Hindernisse kommen natürlich (!?) nur Kristallgitterdefekte in Betracht
Die Versetzung spürt alles! Fremdatome sind Hindernisse, genauso wie Ausscheidungen, Korngrenzen, Voids, ....
   
Eisen und Kohlenstoff
Deshalb ist Eisen oder Aluminium mit ein paar Kohlenstoff- bzw. Kupferatomen (= extrinsische Punktdefekte) deutlich härter als reines Eisen; feinkörnige Materialien sind härter als grobkörnige, und solche Kristalle, die schon viele Versetzung enthalten, sind härter als relativ versetzungsfreie. Das Bild links zeigt den Einfluss von Kohlenstoff auf die Fließgrenze RP und die maximale Zugfestigkeit RM von Eisen.
Der letzte Punkt macht die Theorie der plastischen Verformung zu einem der schwierigeren Kapitel der Materialwissenschaft, denn das, was gerade passiert (per Versetzungsbewegung), hängt sowohl davon ab, was gerade passiert (plastische Verformung erhöht die Versetzungsdichte und macht weitere Versetzungsbewegung schwieriger), als auch davon, was früher passiert ist (bereits vorverformte Metalle brechen früher).
Der letzte Punkt eröffnet aber auch ungeheure Möglichkeiten für die Metalltechnik: Ich kann die Verformungseigenschaften eines Materials auf unglaublich viele Arten beeinflussen und damit optimieren; das Bild unten zeigt, wo's langgeht.
 
Entwicklung von Stahl
Was bei Stahl so möglich ist
   
Beziehung zwischen Defekten
   
Leicht zu merken:
Alle Defektsorten können miteinander wechselwirken.
Atomare Fehlstellen lagern sich an Versetzungen an (mit teilweise schrecklichen Langzeitkonsequenzen); Versetzungen beranden zweidimensionale Defekte; Korngrenzen emittieren oder absorbieren AF's und Versetzungen, ...
Ausscheidung und Versetzungen

SiO2-Ausscheidung in Si mit ersten Versetzungen
Defekte können sich dadurch auch umwandeln: Ein für die Mikroelektronik sehr relevantes Beispiel:
  • Interstitielle Sauerstoffatome im Überschuss (beim Abkühlen) lagern sich zu einer Ausscheidung zusammen.
  • Die Ausscheidung ist durch eine Phasengrenze berandet.
  • Die Phasengrenze ist eine gute Versetzungsquelle.
  • Bei internen Spannungen (z. B. wegen Temperaturgradienten) werden Versetzungen erzeugt und laufen los.
  • Eine Versetzung erreicht einen Transistor. Der Kristall ist im kritischen Bereich nicht länger versetzungsfrei; das Produkt landet im Müll
Die beiden TEM-Bilder rechts und links zeigen den Anfang einer solchen Versetzungsbildung; im Zentrum (dunkel) die (amorphe) SiO2-Ausscheidung. Die mit "A" bezeichnete Ausscheidung rechts produziert Versetzungsringe.
 
Auscheidung und Versetzungen

SiO2-Ausscheidung in Si als Versetzungsquelle
Das ist kein theoretisches Horrorszenario, sondern traurige Realität in der Halbleitertechnologie. Die Tatsache, dass es funktionierende Halbleiterbauelemente gibt, zeigt immerhin, dass man derartige Schweinereien vermeiden kann.
Schon wahr, aber:
It ain't easy, man!

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)