1.1.2 Historische Entwicklung

Die Hypothese, der Mensch unterscheide sich vom Tier durch die Benutzung von Werkzeugen, d.h. bearbeiteten Materialien, kann man zumindest mal wagen.
Wie auch immer, die damit verbundene "Werkstoffkunde" gehört sicher zu den ältesten "Künsten" der Menschheit. Lesestoff dazu (auch zu Siegfrieds Schwert) findet sich im Link.
Ein wachsender Erfahrungsschatz, insbesondere zur Metallgewinnung und -verarbeitung, wurdwe angehäuft, und als Handwerkskunst weitergegeben. Erste systematische Abhandlung erscheinen, z.B. Georgius Agricola: De Re Metallica; 1556.
Mit dem beginnenden Industriezeitalter werden - auf der damaligen wissenschaftlichen Basis - neue Materialien entdeckt (z.B. Aluminium), Eigenschaften systematisiert und teilweise verstanden (Elektrizität und Magnetismus); es entwickelt sich eine blühende Stahl- und Chemieindustrie
Aber noch hat niemand verstanden, wie genau sich Metalle verformen, und warum Stahl (also Eisen mit ein bißchen Kohlenstoff; so 0,5 % - 1,5 %) sich mechanisch ganz anders (viel besser) verhält als relativ reines Schmiedeeisen oder Gußeisen (Eisen mit viel Kohlenstoff, so 3 % - 4 %)!
Die Eigenschaften vieler Elemente und einfacher Verbindungen sind ein Rätsel. Beim zwischenzeitlich entdeckten Germanium oder Silizium, mißt jedes Labor andere spezifische Widerstände - man spricht von von "Dreckeffekten" und wendet sich von diesen undankbaren Materialien ab. Hinter den Dreckeffekten verbirgt sich allerdings die gesamte Halbleiterphysik!
Andere Eigenschaften - z.B. die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Supraleitung - sind ein völliges Mysterium.
Viele heutige Materialien, Technologien und Produkte gab es nicht; "Kunststoffe" z.B. waren nahezu unbekannt und selbst SONY hatte 1917, entgegen der Behauptung seiner Kreativen, noch kein Transistorradio.
Der erste Durchbruch kam mit der Quantentheorie und der darauf basierenden Festkörperphysik und -chemie; so ab 1930.
War die Werkstoffkunde noch eine empirische Wissenschaft, die sich im Laufe der Jahrhunderte durch "Versuch und Irrtum" zusammen mit empirisch oder theoretisch-experimentell gefundenen "Regeln" (z.B. die Matthiesen Regel) und "Gesetze" (z.B. das Ohmsche Gesetz) zu einer beachtlichen Wirtschaftskraft entwickelte, war jetzt eine aus dem Verständnis des Aufbaus der Materie heraus begründete gezielte Entwicklung möglich.
Und so entwickelte sich in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Materialwissenschaft (als "Materials Science and Engineering" in den USA); einer der "Gründerväter" (Kahn) hat dazu ein sehr gut lesbares Buch geschrieben.
Wie wichtig die Materialwissenschaft war und ist (auch wenn sie vom Physikern Chemikern etc. betrieben wurde), läßt sich schön in einer Graphik zeigen, in der die Evolution der technischen Materialien dargestellt ist.
Konkret ausgedrückt: Noch soviele "Versuch und Irrtum" Zyklen hätten nie und nimmer zu folgenden Produkten geführt:
Transistor
Integrierte Schaltung
Laser
Brennstoffzelle
Lambda Sonde
Carbonfaser verstärkte Kunststoffe (CFK)
Die Liste ist verlängerbar; eine grobe Darstellung über die Zeitachse findet sich im Link; eine kleine Übung soll zum eigenen Nachdenken verleiten
Übung 1.1-3
Geschichte und Materialwissenschaft
Zur Zeit befinden wir uns mitten in einem zweiten Durchbruch: Die durch Materialwissenschaft - über die Silizium-Technologie - ermöglichte Revolution in der Leistungsfähigkeit der Computer, erlaubt es zunehmend, die Eigenschaften von Materialien zu berechnen oder zu "simulieren".
Die weiter oben gestellten einfachen Fragen ("Bei welcher Temperatur gefriert Wasser?") werden bald beantwortet, d.h. errechnet werden.
Ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit von Simulationen ist die quantitative Darstellung der Auflösung von Si im nm-Maßstab bei Stromfluß durch einen Si - Elektrolyt-Übergang (das ist das Prinzip jeder Korrosion).

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)