5. Versetzungen

5.1 Grundbegriffe

5.1.1 Burgers- und Linienvektor

Die Herstellung und damit verbunden die plastische Verformung von Metallen (also Kristallen) markiert den Beginn der Neuzeit; die "Hütten- und Schmiedekunst" war lange der "High-Tech" Bereich unserer Vorfahren. Nur durch "Versuch und Irrtum" (trial and error) wurde im Lauf der Jahrtausende die Metallherstellung und Verarbeitung immer mehr ausgeweitet und verfeinert - die oft erstaunlich komplexen Produkte sind in Museen zu besichtigen. Im Landesmuseum in Scheswig kann man z.B. sog. Damaszener-Schwerter der Wikinger bestaunen.
Warum Metalle (im Gegensatz zu den meisten anderen Materialien) sich plastisch verformen lassen, welche Vorgänge im atomaren Maßstab dabei ablaufen, und warum die Verformungseigenschaften bei weitgehend gleicher chemischer Zusammensetzung von vielen Faktoren sehr stark beeinflußt werden können, wurde jedoch erst 1934 im Grundsatz geklärt - durch die "Entdeckung" der Versetzung als fundamentalem Kristallgitterdefekt durch Orowan, Taylor und Polyani (Vorher "Verhakungen" von U. Dehlinger, Stuttgart 1929)
Abbildung: Meilensteine der Versetzungsgeschichte.
Versetzungen kann man sowohl anschaulich/ atomistisch, als auch kontinuumsmechanisch definieren und visualisieren (siehe 3-dim Darstellung einer Versetzung, oder der Zugversuch im Seifenblasenmodell (Video1 (1,6 MByte), Video2 (1 MByte)).
Die atomistische Beschreibung ist leicht verständlich, jedoch begrenzt auf Versetzungen mit großen (unmittelbar "sichtbaren" Auswirkungen) im Kristallgitter
Siehe hierzu auch: "Verformung eines Einkristalls" im Video3 (1,3 MByte) und Video4 (2 MByte), sowie elektronenmikroskopische Versetzungsbewegungen unter mechanischer Spannung im Video5 (1,35 MByte)
Da die Autoren dieser wissenschaftlichen Filme nicht mehr zu ermitteln sind, werden die evtl. Inhaber der Rechte gebeten, sich an Prof. Dr. H. Föllzu wenden!
Die kontinuumsmechanische Beschreibung ist allgemeiner, aber abstrakter.
Atomistische Darstellung der plastischen Verformung durch eine Stufenversetzung
Schubspannung wirkt auf einenKristall eine Versetzung läuftdurch den Kristall unter Hinterlassung einerelementaren Abgleitung

Hierzu gibt es auch eine GIF-Animation.
Bereits dieses einfache Beispiel reicht aus, um einige Eigenschaften von Versetzungen abzuleiten, die sehr allgemein gelten müssen:
Die Versetzung ist ein eindimensionaler Defekt; nur entlang der Versetzungslinie ist das Kristallgitter gestört, d.h. (abgesehen von kleinen elastischen Dehnungen) von einem Idealgitter verschieden. Die Versetzungslinie kann durch einen Linienvektor t beschrieben werden.
Im Versetzungskern sind Bindungslängen und Bindungswinkel nicht im Gleichgewicht - die Versetzung "besitzt" Energie (und Entropie) pro Längeneinheit.
Versetzungen können sich bei Vorhandensein äußerer Kräfte (bzw. dadurch erzeugter innerer Spannungen) bewegen, die dadurch definierte Gleitebene enthält immer die Versetzungslinie.
Durch die Versetzungsbewegung verschiebt sich der ganze Kristall auf einer Seite der Gleitebene relativ zum ganzen Kristall auf der anderen Seite.
Stufenversetzungen können im Prinzip durch Agglomeration atomarer Fehlstellen entstehen.
Die fundamentale Größe, die eine beliebige Versetzung charakterisiert, ist ihr Burgers vektor b. Die atomistische Definition ergibt sich aus dem Burgers-Umlauf im relevanten Kristallgitter. Dabei wird ein beliebiger geschlossener Umlauf um eine Versetzungslinie als Vektorkette der Basisvektoren des Gitters durchgeführt und mit einem exakt korrespondierenden Umlauf im ungestörten Ideal- oder Referenzgitter verglichen.
Burgersumlauf umeineVersetzung Burgersumlauf umeineVersetzung Ein Burgersumlauf um eine Stufenversetzung.
Der Schließungsfehler im Referenzkristall ist der Burgersvektor der Versetzung.
Der Burgersvektor einer perfektenVersetzung ist damit immer ein Gittervektor.
Achtung! Wie immer bei Konventionen, ist die Vorzeichenwahl beliebig. In der hier vorgestellten (gebräuchlichen) Version ist der geschlossene Umlauf um die Versetzung, der Burgersvektor zeigt im Referenzkristall vom Ende des Umlaufs zum Start. Möglich ist auch, einen geschlossenen Umlauf im Referenzkristall durchzuführen, der b-Vektor ist dann im gestörten Kristall definiert, er muß bei gleichem Vorzeichen dann aber vom Start- zum Endpunkt zeigen. Für eine eindeutige Festlegung muß auch noch der Umlaufsinn festgelegt werden (kommt später). Das richtige (d.h. konsistente) Vorzeichen ist oft sehr wichtig!
Etwas unanschaulicher als die Stufenversetzung, aber atomistisch noch darstellbar, ist die Schraubenversetzung.
Zur Veranschaulichung dienen die folgenden Animationen eines Burgersumlauf um eine Schraubenversetzung.
1. Weg, Umlauf um die Versetzung
Die atomistische Definition des Burgersvektors ergibt sich aus dem Burgers-Umlauf im relevanten Kristallgitter. Dabei wird ein beliebiger geschlossener Umlauf um eine Versetzungslinie als Vektorkette der Basisvektoren des Gitters durchgeführt. Der Umlauf wird dann mit einem exakt korrespondierenden Umlauf im ungestörten Ideal- oder Referenzgitter verglichen.
1. Weg, Vergleich mit dem ungestörten Kristall

Bei dem Vergleich mit einem exakt korrespondierenden Umlauf im ungestörten Ideal- oder Referenzgitter zeigt sich ein Schließungsfehler.

Dieser Schließungsfehler im Referenzkristall ist der Burgersvektor der Versetzung.
Der Burgersvektor einer perfekten Versetzung ist damitimmer ein Gittervektor.
Man kann den Burgersvektor auch auf einem zweiten Weg erhalten...

Zum Index Zurueck Weiter