|
Hephaistos, der Sohn von Zeus und Hera, war lahm und
unbeholfen, wenn nicht gar sozial inkompetent - die entsetzten Eltern warfen
ihn voll Schreck aus dem Olymp. Er überlebte
aber und bekam schließlich sogar die Liebesgöttin
Aphrodite als
Frau, immerhin das Beste was die Antike zu bieten hatte. |
|
Warum? Nun, Hephaistos war
Materialwissenschaftler (damals nannte man das Schmied) und die Götter waren von ihm abhängig. Auch in der
Ilias - siehe oben - ist die Reihenfolge klar: Erst
das Erz, dann die Weiber. |
|
Genauer betrachtet war Hephaistos
nicht Materialwissenschaftler, sondern Werkstoffkundler - wie auch Mime,
Wieland
der Schmied oder die vielen anderen Sagengestalten, die
magische Schwerter oder Geschmeide
schufen. Sie beherrschten ihr Handwerk nicht durch wissenschaftliche
Durchdringung der Materie, sondern sie hatten Kunde von dem Wissen um die
Gewinnung und Bearbeitung von Werkstoffen - ein Wissen, das sich im Laufe der
Jahrtausende rein empirisch angesammelt hatte. |
|
Mit der Benutzung und Bearbeitung
von Werkstoffen - Feigenblätter, Holz, Knochen, Feuerstein, Bronze -
begann zumindest die Zivilisation, wenn nicht gar die Kultur. Das Wissen um die
Gewinnung von Werkstoffen, um ihre Bearbeitung, um die damit erschlossenen
Eigenschaften, ist so alt wie der homo sapiens und man kann durchaus eine
Kulturgeschichte der Menschheit im Spiegel der Werkstoffkunde schreiben
/1/. |
|
Verweilen wir noch kurz beim
Schmied, schauen wir zu wie Siegfried sein Schwert Notung schmiedet (in der Oper zum Beispiel). Nachdem
er das Rohmaterial "Stahl"
geschmolzen hat (hat
er aber nicht! Link betätigen) gießt er die Schmelze in
eine Schwertform; nach dem Erstarren hat er eigentlich schon ein Schwert. |
|
|
Ein Chemiker, der eine Probe
nähme, fände im wesentlichen Eisen mit ein bißchen Kohlenstoff
und Spuren von den restlichen Elementen. |
|
|
Siegfried ist aber kein Chemiker, er
ist Schmied und Werkstoffkundler, im
Nebenberuf
noch Held. Er weiß, daß sein Schwert im Kampf gegen
Drachen sofort brechen würde, es ist
spröde. Also wird das Schwert jetzt geschmiedet. Es wird heiß
gemacht, er klopft unter Gesang mit einem Hammer darauf herum ("Schmiede, mein Hammer,
ein hartes Schwert"), er stößt es zischend in kalte
Flüssigkeiten, klopft wieder darauf herum, und erhält
schließlich, falls er alles richtig macht, ein Schwert, das nicht mehr
spröde ist, sondern fest, elastisch und mit scharf bleibender Klinge
eben "hart". Einige Eigenschaften des Schwerts sind jetzt ganz
anders als vor dem Schmieden. Einige, nicht alle. Manche Eigenschaften, zum
Beispiel der Schmelzpunkt, haben sich nicht geändert. |
|
Ein Chemiker, der jetzt eine Probe
nähme, fände im wesentlichen Eisen mit ein bißchen Kohlenstoff
und Spuren von den restlichen Elementen - exakt dasselbe wie vor dem Schmieden.
|
|
Das Schmieden hat offensichtlich
einige Eigenschaften des Materials "Stahl" massiv verändert. Was
aber hat sich denn im Material geändert? Was ist jetzt anders, wenn man
genau hinschaut, zum Beispiel mit einem Elektronenmikroskop. |
|
|
Offensichtlich nicht die Zusammensetzung, sondern
die Struktur. Die Frage ist also: Welche strukturellen Besonderheiten bestimmen
wesentliche Eigenschaften des Materials Stahl (und, wenn wir gleich
verallgemeinern, der Materialien Feuerstein, Granit, Bronze, Porzellan,
Aluminium, Silizium, Yttrium-Barium-Kupferoxid /2/)? Ein Rätsel, das sehr alt
ist, mit dem die Menschheit aber ganz gut leben konnte. Größere
Bauwerke - von den Pyramiden (ein Produkt der frühen Naturkeramik-
Industrie) bis zum Eiffelturm - und feinste Instrumente, zum Beispiel
Taschenuhren, entstanden, ohne daß irgend jemand gewußt hätte,
was die mechanischen Eigenschaften der verwendeten Materialien bedingt. Aus der
Schmiedekunst wurde die Metallurgie, aus der Alchemie die (frühe) Chemie; die Werkstoffkunde
wurde wissenschaftlich in ihren Methoden, aber sie stand immer noch auf dem
Fundament der Empirie, der Phänomenologie. |
|
Eine erste richtige Anwort auf das
Rätsel gaben
Leukipp und
Demokrit vor gut
2.500 Jahren: |
|
|
Die Kombination von endlich vielen Atomen (der
chemische Teil) in unterschiedlichen Anordnungen (der strukturelle Teil)
bestimmt das Material und seine Eigenschaften. |
|
|
Leider ist die Atomhypothese aber für
längere Zeit untergegangen; durchgesetzt hat sich Aristoteles, der,
zumindest soweit es die Materialwissenschaft betrifft, ziemlichen Unsinn
verbreitete. |
|
|
Die Menschheit mußte Jahrtausende warten,
bis schließlich in den 30er Jahren unseres (letzten) Jahrhunderts
der Schlüssel für die Antwort auf das Schmiederätsel gefunden
wurde. Sie ist einfach, hat aber unüberschaubare Konsequenzen, und lautet
in extremer Vereinfachung: |
|
|
|
|
|
Viele Materialien (darunter alle Metalle) sind
Kristalle. |
Defekte im kristallinen Aufbau bestimmen viele der
wichtigen Eigenschaften. |
|
|
|
|
In diesen beiden Sätzen steckt
nicht nur die Erklärung für das Schmiederätsel, sie umfassen
beispielsweise auch den Transistor und die
integrierte Schaltung, den
Festkörper-Laser, die Lambda-Sonde, die Solarzelle - und damit einen großen Teil der
modernen Technologie. |
|
Was ist ein
Kristall? Der Bergkristall
fällt einem ein, den man mal in den Alpen gefunden hat, oder das teure
Stückchen Kohlenstoff, das man als Diamant
verschenkt. |
|
|
Wichtig ist aber nicht nur die
äußere Form, sondern der innere Aufbau, die regelmäßige
räumliche Anordnung der kleinsten Bausteine des Materials; im Beispiel
sind das SiO2-Einheiten beim Bergkristall und
Kohlenstoffatome beim Diamant. Bild 1
definiert schematisch die Termini Kristall und Kristalldefekte. |
|
Die Gesamtheit der Defekte, ihre
Art, Konzentration und Anordnung, bestimmen die mechanischen Eigenschaften
aller verformbaren kristallinen Materialien, und das sind ausnahmslos alle
Metalle und Legierungen. Die bleibende oder plastische Verformung, die
Änderung der Gestalt, wird dabei im wesentlichen durch die Erzeugung und
Bewegung
des speziellen Defektes vermittelt, der in
Bild
1 als "Versetzung"
gekennzeichnet ist. Ob ein Material "hart" oder "weich" ist
- und auch ob und wie schnell es "ermüdet", um einen Ausdruck zu
verwenden, den man im Zusammenhang mit großen oder kleinen Katastrophen
häufig in den
Zeitungen findet - wird durch die Zahl und Art der Versetzungen bestimmt,
die sich im "Gefüge" des Materials finden sowie durch ihre
Beweglichkeit. Das Gefüge wiederum konstituiert sich aus allen Defekten,
Versetzungen inklusive, die sich im Kristall befinden. Beim Schmieden werden
die Kristallgitterdefekte des Stahls manipuliert - es ist ein
hochkomplizierter, stark nichtlinearer und erst seit den 60er Jahren
unseres (letzten) Jahrhunderts halbwegs verstandener Prozeß. |
|
Es mußten also erst die
Atome /3/ und
der Kristall gefunden werden. Genauer gesagt bedurfte es der
Quantentheorie und der
Thermodynamik, insbesondere in ihrer
statistischen Form, um aus der Werkstoffkunde die moderne Materialwissenschaft
zu machen. Um es (nicht nur im Titel) mit
Schiller zu sagen: |
|
|
"Unser erkenntnisreiches Jahrhundert herbeizuführen
haben sich - ohne es zu wissen und zu erzielen - alle vorhergehenden Zeitalter
angestrengt". |
|
Was unterscheidet die
Materialwissenschaft als Ingenieursdisziplin von der Urmutter Physik und dem
Vater Chemie? Schiller ahnte es: siehe oben. |
|
|
Leicht ist es, im Fluge der
Gedanken, auf dem Boden der Newtonschen Grundgesetze, den Stoß für
ideale Massenpunkte zu formulieren. Schwer ist es, zu berechnen was wirklich
passiert, wenn reale Materialien sich stoßen, man denke an Eisen-,
Plastillin-, Glaskugeln,
Formel 1
Rennwagen oder sogar Seifenblasen. Physik ist, die allgemeine Theorie der
Solarzellen aufzustellen - Materialwissenschaft ist,
gute
Solarzellen billig herzustellen. |
|
Selbstverständlich kann
Materialwissenschaft weitgehend als Teilmenge der Physik gesehen werden - so,
wie auch die Chemie oder die Elektrotechnik. Aber es kommen doch noch einige
qualitative Unterschiede dazu. Wie im Beispiel der Solarzellen schon
angedeutet, spielt die Ökonomie eine
wichtige Rolle. |
|
|
Solarzellen an sich sind für die Physik
nicht mehr interessant - sie sind in ihrer Wirkungsweise sehr gut verstanden.
Die gesamte diesbezügliche Forschung konzentriert sich deshalb weltweit
auf ein ingenieurmäßiges Ziel: Gute Solarzellen billig herzustellen.
Ähnliches gilt für Batterien, Brennstoffzellen,
Halbleiterbauelemente, Turbinenschaufeln, Zahnfüllungen,
Leichtmetallkarosserien, flache Bildschirme etc. |
|
Eine weitere, der harten Physik
fremde Komponente ist die Ökologie. |
|
|
Die weitgehend materialwissenschaftliche
Forschung zum Elektroauto oder zur Brennstoffzelle wird beispielsweise
überwiegend durch kalifornische Umweltschutzgesetze getrieben. Selbst die
Psychologie kann
hereinspielen. Manche High-Tech Materialien - zum Beispiel einige
korrosionsfeste Eisenlegierung - sind am Markt erfolglos, weil ihre Anmutung
negativ ist (sie schauen verrostet aus). Künstliche
Edelsteine,
obwohl von natürlichen ununterscheidbar, sind als Schmucksteine wertlos
und Plastikprodukte aller Arten verkaufen sich nur, wenn sie (meist
umweltschädlich) eingefärbt sind. |
|
So, wie die Elektrotechnik sich vor
rund 100 Jahren aus der Physik als eigenständige Disziplin
herauslöste, tut es seit etwa 30 Jahren auch die
Materialwissenschaft. |
|
|
Sie wächst dabei zusammen mit der alten,
phänomenologisch orientierten Werkstoffkunde und umfaßt damit nicht
mehr nur die Werkstoffe mit wichtigen mechanischen Eigenschaften (die
Strukturmaterialien wie Stahl und
Messing), sondern zunehmend auch die Funktionsmaterialien, also Materialien
bei denen unabhängig von der Materialklasse die Funktion im Vordergrund
steht. Beispiele sind Halbleiter, Supraleiter, Ionenleiter, Magnetwerkstoffe
oder Funktions-Polymere. |
|
Bei den Funktionsmaterialien
verlassen wir in der Regel die Empirie; Materialien und Prozesse werden nicht
mehr durch Versuch und Irrtum gefunden. Zum Transistor, zur Leuchtdiode, zum
"SQUID"
/4/ kommt man
niemals nur durch Probieren oder - wie die Zeitungen in ihrer Ahnungslosigkeit
so gerne schreiben -
Tüfteln,
sondern nur durch das tiefe Verständnis des atomaren Aufbaus der Materie,
beruhend auf der Quantentheorie und dem Zusammenwirken sehr vieler Atome auf
der Grundlage der statistischen Thermodynamik. |
|
|
Der Transistor, die Basisinnovation des
Informationszeitalters, ist ein reinrassiges Kind der Quantentheorie - in der
klassischen Physik kann es ihn nicht geben! |
|
Viele Ereignisse des
denkwürdigen Jahres 1968 sind immer noch im kollektiven
Bewußtsein der Gesellschaft; ein besonders denkwürdiges Ereignis
allerdings wurde öffentlich kaum wahrgenommen: |
|
|
Die Zahl der Veröffentlichungen
zum Material Silizium
überstieg zum erstenmal die zum Thema Eisen und Stahl. Silizium (engl.
silicon /6/) ist
das Material des Informations- und Kommunikationszeitalters; es ist das
Grundmaterial des größten industriellen Sektors des kommenden
Milleniums /7/.
|
|
|
Volkswirtschaften, die nicht mit
Silizium und der darauf basierenden Informations- und Kommunikationsindustrie
umgehen können, werden im globalen Wettbewerb nur zweiter Sieger sein. Man
kann natürlich, wie einst Heinz Nixdorf, die Meinung vertreten, daß
Chips zu den Rohstoffen gehören, die man
irgendwo kauft - man handelt dann aber auf eigene Gefahr
/8/. |
|
Denn so wie das Bewußtsein
vermutlich doch nicht ohne Körper auskommen kann, braucht die Software die
Hardware, und Hardware enthält immer die integrierten Schaltungen, die
"Chips" /9/ auf Silizium Basis - und das Herstellen von
Chips ist Materialwissenschaft. Die Funktion, bestimmt durch die Verdrahtung
der einzelnen Elemente auf dem Chip, die Funktion von Chip und System, das ist
die Domäne der Elektrotechnik und der Informatik. |
|
Silizium und die Siliziumtechnologie
können als Paradigma für die
Materialwissenschaft dienen; für ihre Bedeutung, ihren Anspruch, ihre
Methodik und ihre offenen Fragen. |
|
|
Wieder sind es insbesondere die Defekte im
Kristall, die die wichtigen Eigenschaften bestimmen. Sie sind ambivalent, sie
können nützlich und schädlich zugleich sein. Die Herstellung von
Chips ist letztlich eine gezielte Manipulation der Defekte im Siliziumkristall,
allerdings auf einem Niveau und mit einem Schwierigkeitsgrad, vor dem
Siegfrieds Schmiedekünste verblassen. |
|
|
Zum Held sein, im Nebenberuf, fehlt dem
Materialwissenschaftler deshalb meist auch die Zeit; aber er muß seinen
Wert ja auch nicht mehr durch Herumfuchteln mit einem Schwert beweisen. |
|
Im folgenden soll am Beispiel des
Materials Silizium fragmentarisch aufgezeigt werden, wo die Forschung steht und
welchen Kurs sie nimmt. |
|
Schreibmaschinen gibt es
(demnächst) nicht mehr. Der "Wordprocessor", der "Personal
Computer" (PC) mit der
entsprechenden Software ist an ihre Stelle getreten. Keiner hätte das mehr
begrüßt als Arno Schmidt, der sicherlich von den damit
verbundenen Möglichkeiten reichlichen Gebrauch gemacht hätte
/11/. |
|
|
Das Herz des PCs aber ist der
Mikroprozessor zusammen mit seinen
Speicherchips. (Am Rande sei vermerkt, daß auch die magnetischen und
optischen Speichermedien "floppy disc" bzw. "CD-ROM"
(Compact Disc - Read Only Memory), genauso wie die Akkus und der flache
Bildschirm des "Laptops", Objekte der Materialwissenschaft sind).
|
|
|
Wie ist ein Chip aufgebaut - worauf
kommt es beim Silizium an? |
|
Ein Blick (mit dem
Rasterelektronenmikroskop) auf einen Chip (Bild 2)
zeigt zunächst eine verwirrende Vielfalt von hauchdünnen
/12/ Leitungen
die auf 7 Ebenen zwar verwirrend, aber trotzdem sinnvoll geordnet, die
darunterliegenden Transistoren verbinden. |
|
|
Das sind aber "nur" die Verbindungen
zwischen den Transistoren, die als die eigentlichen aktiven Elemente der
Schaltung in den Siliziumkristall integriert sind. |
|
Beim heutigen Stand der Technik
brauchen wir für einen Transistor - den "kleinsten Kreis" - etwa
1µm2, das heißt auf 1cm2 Si
passen 100.000.000 Transistoren - ca. 1.000 auf den Querschnitt
eines Haars. |
|
|
Brechen wir unseren Chip durch und schauen auf
die Kante, sieht das ungefähr so aus wie in
Bild
3 gezeigt. Klein und kompliziert; aber das Grundelement - in
Bild 3 nur dem Experten erkennbar - ist ein Transistor wie in
Bild
4 stark schematisiert und etwas vereinfacht dargestellt. |
|
|
Entscheidend ist, daß wir in einem
perfekten, das heißt defektfreien Silizium Kristallgitter in den mit
"Source" und "Drain" markierten Bereichen einige
Siliziumatome durch Phosphoratome ersetzt haben, während im Rest des
Kristalls einige Boratome an die Stelle der Siliziumatome plaziert wurden.
"Einige" bedeutet, daß etwa ein Fremdatom auf ca.
106 Siliziumatome kommt - chemisch gesehen wäre das
Silizium immer noch höchstrein. |
|
Warum diese Anordnung einen
Transistor, d.h. einen elektronischen Schalter darstellt, soll uns hier gar
nicht interessieren /13/; wir fragen uns, ausgehend von dieser Struktur,
was wir über das Material Silizium wissen und insbesondere, was wir noch
nicht wissen. Im folgenden wird an einigen wenigen Beispielen demonstriert,
daß trotz intensivster Forschung noch viele Fragen offen sind. |
|
|
|
Wie bringt man die Phosphor- oder
Boratome auf ihre Plätze? Es war u.a. Albert Einstein, der 1905 einen entscheidenden
Beitrag zur Lösung dieses Rätsels lieferte. Wir betrachten hier das
Phänomen der Diffusion, der durch Wärmeenergie getriebenen
Bewegung von Atomen in einem Material. Der übliche atomare Prozeß,
der dabei in Kristallen abläuft, ist in
Bild
5 gezeigt. |
|
Bild 5a zeigt schematisch den
Ausgangszustand: |
|
|
Einige Phosphoratome sitzen auf der
Silizium Oberfläche; das ist technisch noch
verhältnismäßig leicht zu bewerkstelligen. Bild 5c zeigt
(schematisch) den gewünschten Endzustand: Die Phosphoratome sind jetzt an
den richtigen Stellen in das Kristallgitter des Siliziums integriert; sie sind
nützliche Defekte. |
|
|
Die (halbwegs)
maßstäblich gezeichneten Bilder machen offenkundig, daß die
Phosphoratome zu dick sind, um sich einfach zwischen den Si-Atomen durch die
Reihen zu zwängen. Wie im vollbesetzten Charterflugzeug ist Bewegung nur
möglich, wenn ein leerer Platz vorhanden ist - in Kristallgittern
heißt so ein freier Platz "Leerstelle". |
|
|
In Bild 5b ist der
Mechanismus der Diffusion über Leerstellen in einem Zwischenstadium
gezeigt: Ein Phosphoratom sitzt im Gitter und muß warten, bis eine
Leerstelle vorbeikommt, bevor es wieder durch Hüpfen in die Leerstelle ein
Stückchen weiterrutschen kann; ein anderes Phosphoratom ist gerade dabei
diesen Schritt zu tun. Die Leerstellen selbst können sich nach Belieben
bewegen: sobald ein Si-Atom in die Leerstelle springt, sitzt die Leerstelle am
Platz dieses Atoms. Man kann das im
Link
mal anschauen. |
|
Die Frage ist jetzt: Woher kommen
die Leerstellen? Die Antwort lautet: sie werden vom zweiten Hauptsatz der
Thermodynamik "gemacht", einem der fundamentalsten Naturgesetze
überhaupt. |
|
|
Der zweite Hauptsatz sagt ganz schlicht,
daß in einem sich selbst überlassenen System auf Dauer keine
perfekte Ordnung aufrecht erhalten werden kann. Ein perfekter, d. h.
defektfreier Kristall wäre aber in perfekter Ordnung - es kann ihn nicht
geben (außer, theoretisch, am absoluten Nullpunkt). Die notwendige
Unordnung wird durch Leerstellen bewerkstelligt. Sie bilden sich gleichsam von
selbst; ihre Zahl ist berechenbar und steigt exponentiell mit der Temperatur.
|
|
Schlichtes Heißmachen
produziert also die für die Diffusion notwendigen Leerstellen in
berechenbarer Zahl; und mit diesen Transporteuren können wir dann
Phosphor- oder Boratome definiert und berechenbar auf Reisen schicken. |
|
Exakt so, berechenbar und damit
beherrschbar, diffundieren Fremdatome in fast allen simplen Kristallen - nur
beim Silizium (das zu den simplen Kristallen gehört) ist alles ganz
anders! |
|
|
Niemand hat bis jetzt die postulierten
Leerstellen direkt gefunden, und die atomaren Diffusionsmechanismen werden erst
seit einigen Jahren halbwegs verstanden. Als sicher gilt, daß es
außer dem klassischen Leerstellendiffusionsmechanismus (auf der Basis
relativ weniger und deswegen nicht direkt nachweisbarer Leerstellen) noch eine
Reihe von anderen Mechanismen gibt, die mit anderen Defekten des
Kristallgitters assoziiert sind. Noch aber ist vieles ungeklärt, die
Gelehrten streiten sich (seit dem Ende der 70er Jahre
/14/), und
Diffusionsmechanismen in Silizium (und in anderen Halbleitern) sind nach wie
vor ein aktives Forschungsgebiet der Materialwissenschaft. |
|
|
|
In
Kapitel 4.1ist die entscheidende Rolle
des möglichst perfekten Kristallgitters für die Funktionsweise des
Transistors im Silizium beschrieben. Gibt es ein perfektes Kristallgitter? Der
zweite Hauptsatz - siehe Kapitel 4.2 -
verbietet es ausdrücklich. Wie ist das nun? |
|
Ein Siliziumkristall wird
"gezüchtet"; er entsteht langsam, er wird aus einer 1437
0C heißen Silizium-Schmelze "gezogen". In den
riesigen Kristallen, die heute Stand der Technik sind
/15/, werden
gleich nach dem Erstarren einige atomare Fehlstellen - Leerstellen, falsch
plazierte Si-Atome, irgendwelche atomaren Defekte - eingebaut, der zweite
Hauptsatz kennt keine Ausnahmen. |
|
|
Während in Metall-Kristallen,
in Keramik-Kristallen, auch die gröberen Defekte wie Versetzungen nicht zu
vermeiden sind, läßt sich das in Silizium bewerkstellen, der zweite
Hauptsatz ist hier mit atomaren Defekten wie Leerstellen zufrieden. |
|
|
Aber während in Metallen so gut
wie alles über atomare Defekte bekannt ist, weiß man in Silizium
vergleichsweise wenig über diese Species. Jedenfalls ist kurz nach dem
Erstarren der Schmelze einiges an atomaren Defekten vorhanden, und diese
Defekte können nicht verschwinden, denn der Weg zur Oberfläche, dem
einzigen Platz, an dem ein Defekt "ausheilen" kann, ist zu weit. Die
atomaren Defekte, die beim Abkühlen eigentlich verschwinden möchten -
der zweite Haupsatz verliert bei tieferen Temperaturen an Strenge; die Tendenz
für Ordnung steigt - finden das Nirwana nicht. Sie müssen in anderer
Form weiterleben, als zweitbeste Lösung bilden sie Agglomerate,
Anhäufungen atomarer Defekte, zum Beispiel winzig kleine Löcher im
Falle von Leerstellen. |
|
|
Im abgekühlten Kristall finden
sich dann unvermeidlich diese gröberen Defekte, sie tragen so hübsche
Namen wie "Swirl-Defekte"
/14/ oder so
nichtssagende wie A- B- C- oder D- Defekte
/16/. |
|
Es sind wenige und kleine Defekte;
sie sind daher nur mit großem Aufwand nachweisbar - unser
meterlanger
Siliziumkristall ist trotz des zweiten Hauptsatzes immerhin das
perfekteste, was es dieseits von Pluto gibt - aber sie stören. |
|
|
Immer wieder justieren deshalb die
Kristallzüchter im Verein mit den Mikrostrukturanalytikern ihre
(haushohen) Kristallzuchtanlagen neu und produzieren noch perfektere Kristalle,
in denen die unvermeidlichen Defekte noch kleiner und homogener verteilt
vorliegen - mit den bekannten Methoden sind sie dann gar nicht mehr nachweisbar
- und immer wieder finden die Chiphersteller, die immer kleinere und
empfindlichere Transistoren bauen, daß allen Anstrengungen zum Trotz doch
noch etwas störendes vorhanden ist, Mikrodefekte, die die Funktion der
neuen Chips beeinträchtigten (Bild 6).
|
|
|
Die neue Chipgeneration kann vielleicht nicht mit
hoher Ausbeute gefertigt werden, Investitionen in Milliardenhöhe sind
gefährdet. |
|
Mit Hölderlin seufzt der
Materialwissenschaftler: |
|
|
"Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo
aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch" (aus dem Gedicht
"Patmos"). |
|
|
Neue Nachweismethoden werden entwickelt, die
Theorie wird weitergetrieben, das Verständnis wächst. Verbesserte
Kristallzuchtverfahren werden eingeführt (Minimalinvestition um die 100
Mio DM), das Defektspiel geht in die nächste Runde. |
|
Noch fehlt die allumfassende Theorie
der Defekte in fast perfekten Si-Kristallen. Silizium, es sei noch
einmal betont, ist in seinem angeborenen Defektspektrum viel komplizierter als
alle vergleichbaren Elementkristalle - aber das Ziel ist erreichbar, die
Materialwissenschaft steht kurz vor der erstmaligen kompletten Erfassung der
Defektstruktur und -dynamik in einem wichtigen Material. Wir werden verstehen.
|
|
Ein heutiger Chip entsteht in etwa
600 einzelnen Arbeitsprozessen, und etwa ein Drittel davon erfordert
"Naßchemie". Das Silizium wird
in Flüßigkeiten getaucht, in Säuren, Laugen und
Lösungsmittel, um Hilfsschichten wieder abzulösen, um die
Oberfläche zu reinigen oder zu konditionieren. Es sind die vermeintlich
einfachsten Prozesse in der Chipproduktion, nichts besonderes - eine typische
Naßchemiebank ist schon für weniger als eine Million zu haben. |
|
Meistens gibt es auch keine
Probleme, aber die ganz großen Katastrophen in der Produktion werden fast
immer von der simplen Naßchemie verursacht (jeder Insider weiß
das). Es ist nicht
ungewöhnlich,
daß ganze Fabriken monatelang nur Abfall statt Chips produzieren, zum
Beispiel, wie man erst nach Monaten frenetischster Aktivität feststellt,
weil man den Hersteller einer Säure gewechselt hat oder ein anderes
"Waschmittel" für Silizium einführte. Das machte man nicht
zum Spaß, sondern weil der andere Hersteller die bessere Qualität
bot oder das neue Waschmittel sich in einer anderen Fabrik bestens bewährt
hat. |
|
Warum passieren diese
Hundertmillionen-Dollar-Mißverständnisse (das ist ein typisches
Lehrgeld für eine solche Erfahrung)? |
|
|
Weil man Silizium, im Gegensatz zu Geld, nicht
waschen kann, ohne es naß zu machen. Das Ablösen von Schichten, von
Verunreinungen, macht leider auch das Silizium "naß", es
ändert sich notwendigerweise die Struktur und die Eigenschaft der
Oberfläche. Was genau mit dem falschen Mittel passiert ist, welche atomare
Reaktion jetzt etwas anders lief und zur Katastrophe führte, versteht man
nie oder erst später, nach entsprechender Forschungsarbeit. |
|
Atomare Reaktionen an der
Oberfläche finden oft durch Austausch von Ladungsträgern statt;
Ströme fließen, getrieben durch die eingebauten Spannungen in den
Transistorstrukturen, in den unvermeidlichen Mini-Solarzellen der entstehenden
integrierten Schaltung. "Schwarze Kunst" murmelt der Chiptechnologe
schon beim Thema Chemie; beim Thema Elektrochemie schlägt er ein Kreuz. |
|
Grund genug, die Elektrochemie des
Siliziums materialwissenschaftlich und systematisch anzugehen. Und siehe, es
war gut. |
|
|
Die Elektrochemie des Siliziums, Anfang der
80er Jahre noch im Dornröschenschlaf, hat sich zu einem sehr
aktiven Feld der Materialwissenschaft entwickelt, mit eigenen internationalen
Konferenzen und einer eigenen wissenschaftlichen Zeitschrift. Dafür gibt
es zwei einfache Gründe: Erstens werden laufend neue, völlig
unverstandene Phänomene gefunden - eine Herausforderung an jeden
Silizium-Materialwissenschaftler mit Blut in den Adern - und zweitens sind
hochinteressante technische Anwendungen möglich oder denkbar. |
|
Stellen wir uns ein extrem simples
Experiment vor, das ein motivierter Schüler in Mutters Küche
durchführen kann (am besten in Abwesenheit der Mutter); eine schematische
Darstellung zeigt Bild 7a. |
|
|
In einem Plastikbecher hängt ein Stück
handelsübliches Silizium, kontaktiert mit einem Draht; ihm gegenüber
hängt ein zweiter Draht (am besten aus einem Edelmetall; Mutters Goldkette
wäre brauchbar). Der Becher wird mit Wasser und etwas Fluor gefüllt
(der Wissenschaftler nimmt Flußsäure (HF), der Schüler
konzentriertes Mundspülmittel und etwas Essig). An die beiden Drähte
hängen wir eine Taschenlampenbatterie; wenn wir gut ausgerüstet sind,
messen wir Strom und Spannung. Je nach Spannung und Polung der verwendeten
Batterie, der Art des Stückchens Silizium (es wird vom Hersteller entweder
mit einigen Bor- oder mit Phosphor- bzw. Arsenatomen "dotiert" worden
sein) und der Konzentration der Fluor-Atome im Wasser, beobachten wir jetzt
eine Vielzahl erstaunlicher Phänomene, das simple Experiment liefert eine
Vielzahl an komplexen Erscheinungen. Zum Beispiel: |
|
|
Die Silizium-Probe überzieht sich mit einem
farbigen Film. Dieser Film hat verblüffende Eigenschaften: Er besteht aus
kristallinem Silizium, das jedoch hochporös ist, das durchzogen ist von
Kanälen mit winzigsten Durchmessern im 1nm (=1/1.000
µm=1/1.000.000 mm) Bereich. Bei Beleuchtung mit ultraviolettem Licht
fluoresziert dieses "PSL" (porous silicon layer) heftigst -
was es nicht dürfte, denn Silizium sollte, nach fundamentalen
Erkenntnissen der Festkörperphysik, bei Raumtemperatur gar nicht
fluoreszieren können! Diese Entdeckung hat 1986 die
elektrochemische Forschung am Silizium gleichsam explodieren lassen, denn mit
"leuchtendem" Silizium könnte man optoelektronische Silizium
Bauelemente herstellen; der Traum aller Optoelektroniker. |
|
|
Die Probe ist ein Sieb geworden. Sie ist
durchsetzt mit Millionen von tiefen Löchern, die Durchmesser von
ungefähr 1 µm haben. Das ist etwas völlig anderes als
das PSL von oben - die Poren, obwohl immer noch klein, sind
vieltausendmal größer. |
|
|
Der Strom schwingt: Regelmäßig steigt
er impulsartig kurz an, dann fällt er wieder auf den alten Wert
zurück. Stundenlang, regelmäßig wie ein Uhrwerk oder ein
lebendiges Herz. |
|
|
Der Strom reagiert auf Licht: Beleuchten wir die
Silizium Probe steigt der Strom; ohne Licht sinkt er wieder in manchen
Siliziumsorten stärker als in anderen. |
|
Machen wir das Experiment
kontrolliert im Labor, finden wir die in Bild 7b
gezeigten Kennlinien; bestimmten Bereichen der Kennlinien lassen sich die oben
genannten Phänomene zuordnen /17/. Schauen wir uns die drei letztgenannten ein
bißchen genauer an. |
|
|
|
"Schwingende Elektroden" -
Materialien, bei denen trotz konstanter Spannung über einem
fest-flüssig Kontakt der Strom schwingt - hat schon Faraday beschrieben,
verstanden hat es bis vor kurzem aber niemand. Der Effekt ist am Silizium
besonders schön ausgeprägt; Schwingungen werden immer im Bereich
großer Spannungen und Ströme der oben genannten Kennlinien
beobachtet. Viele Arbeitsgruppen haben in den letzten 10 Jahren versucht, das
Rätsel zu lösen, gelungen ist es erst jetzt in der Technischen
Fakultät /18/. |
|
|
Wie sich herausstellte, folgt die
Schwingung der Silizium-Elektrode denselben Gesetzen wie zum Beispiel die
Schwingung des Herzens, der Herzschlag, und nicht den Gesetzen des Uhrwerks,
den Differentialgleichungen der klassischen Physik. Hier wie dort braucht es
bistabile Elemente, die nach allgemeinen Regeln, aber im Einzelfall
statistisch, "ein-" oder "ausgeschaltet" sind. Beim
Herzschlag sind das die Neuronen im Sinusknoten des Herzmuskels, bei der
Si-Elektrode kleine Bereiche, Lokaloxidatoren genannt (ca. 2nm
groß), in denen lokal Strom ein- oder ausgeschaltet wird; gesteuert durch
die lokale Oxiddicke. |
|
|
Ein regulärer Herzschlag oder
ein Strommaximum ergibt sich aber nur, wenn genügend Neuronen bzw.
Lokaloxidatoren synchronisiert sind, das
heißt ungefähr gleichzeitig ein- oder ausschalten. Die
Synchronisation erfolgt in beiden Fällen wiederum durch gekoppelte
statistische Prozesse, beim Silizium durch einem sogenannten Perkolationsmechanismus. |
|
|
Letztlich ist es beim Herzen und
beim Silizium im Wortsinne ausschlaggebend, daß mehrere statistische
Prozesse so zusammenwirken, daß aus Chaos - dem ungeordneten Zucken der
elementaren Oszillatoren - ein mächtiger geordneter Herzschlag oder ein
Stromimpuls wird. Gewinnen die desynchronisierenden Kräfte, die es auch
gibt, die Oberhand, haben wir Herzrhythmusstörungen oder Kammerflimmern
bzw. einen konstanten, aber rauschbehafteten Strom. |
|
Eine quantitative Computersimulation
der Si-Elektrode zeigt dies plastisch in
Bild
8. Die gemessene Stromkurve wird vom Modell sehr gut
reproduziert (Bild 8a), die Darstellung der Elektrodenoberfläche
zeigt großflächig gekoppelte Lokaloxidatoren oder ungeordnetes
Rauschen (Bild 8b), je nachdem ob die synchronisierenden oder
desynchronisierenden Mechanismen die Oberhand gewinnen. Man kann das Ganze in
diesem Link
auch "life" betrachten. |
|
|
|
Mit viel Wissen und etwas Geschick
gelingt es, mit elektrochemischen Methoden Millionen von regelmäßig
angeordneten kleinsten Löchern in Si-Scheiben zu bohren -
Bild
9 zeigt ein Beispiel. |
|
|
Die Technik beruht auf einer
theoretischen Überlegung, die frühe Erkenntnisse der Prozesse im
mittleren Bereich der Kennlinie (Bild 7) umsetzte /19/. Die
entstandenen Silizium-Siebe lassen sich nun für eine Vielzahl von
Anwendungen verwenden, zum Beispiel für Mikrosystemtechniken, Sensoren,
Röntgenfilter, insbesondere aber für "photonische Kristalle". |
|
|
Denn auch in das
regelmäßige Gitter der Löcher lassen sich Defekte einbauen;
fehlende Löcher oder Anordnungen wie in Bild 10
gezeigt. Diese Strukturen, die in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut
für Mikrostrukturphysik in Halle/S und der Siemens AG in München
entstanden sind, haben ungewöhnliche optische Eigenschaften
/20/, sie sind
eine Art optischer Halbleiter. Man kann damit zum Beispiel bessere Laser bauen,
aber auch Lichtschalter, Lichtweichen, winzigste Lichtwellenleiter, die Licht
auch um schärfste Ecken führen können, - und insbesondere kann
man Licht einsperren, im photonischen Kristall festhalten, und dann sogar ins
Rathaus von Schilda tragen. |
|
Diese
"Makroporenätzung" scheint verstanden zu sein - sie hat auf
Anhieb funktioniert. Umso mehr überrascht, daß bei leichter
Änderung der Versuchsparameter - insbesondere der Kristallorientierung -
alles ganz anders verläuft. Die Löcher werden krumm, legen sich in
gänzlich ungewöhnliche Kristallrichtungen, und fransen aus (Bild
11). |
|
|
Nichts ist mehr klar. Die Experimentatoren
jubeln, die Spannung wächst - was wird das nächste Experiment
bringen? Die Köpfe rauchen, und früher oder später wird eine
privilegierte Materialwissenschaftlerin oder ein Materialwissenschaftler einen
Moment des Triumphes erleben; Kreativität und Fleiß wird belohnt:
Sie oder er wird der
einzige Mensch auf
diesem Planeten sein, der verstanden hat, warum Poren in Silizium
ausschließlich in <100> oder <113> Richtungen
wachsen /21/.
|
|
|
|
- das wäre auch eine
Lösung des Kostenproblems der Solarenergie, denn mit dem vorhanden Licht
in unseren Breiten und dem vorhandenen Wirkungsgrad
/22/ bezahlbarer Solarzellen tun wir uns
schwer. Obwohl durch das Schwinden der Ozon-Schicht im Ultravioletten der
Wunsch Goethes zunehmend erfüllt wird, erscheint es doch sinnvoller, am
Wirkungsgrad der Silizium-Solarzellen zu arbeiten. |
|
|
Die besten (und teuersten)
Solarzellen macht man aus perfekten Silizium-Kristallen, die billigen (und
nicht so guten) aus polykristallinem Billig-Silizium, aus Silizium voller
Defekte - es ist wie in Bild 1 gezeigt. |
|
|
Die Suche nach billigem Silizium,
nach Herstellungsmethoden, bei denen die unvermeidlichen Kristallgitterdefekte
möglichst wenig stören, um der Solarenergie endlich zum Durchbruch zu
verhelfen, gleicht der Suche nach dem heiligen Gral: Letztlich ist der Weg das
Ziel, denn das Idealmaterial wird man dabei nicht finden, vielleicht aber doch
die Solarenergie durchsetzen. |
|
Dazu braucht man Methoden und
Meßverfahren, mit denen sich ein Stück Silizium auf seine Eignung
für Solarzellen bewerten läßt. Bei geschickter Nutzung der
Eigenschaften der Silizium-Elektrochemie gelingt dies optimal. Das
"ELYMAT" - Verfahren /23/ erlaubt, schon beim Rohsilizium direkt zu messen,
wieviel Strom in der fertigen Solarzelle bei Beleuchtung lokal generiert werden
wird - Bild 12 zeigt ein Beispiel. Der
Einfluß der Defekte ist unmittelbar sichtbar; der Experte hat ein
Meßverfahren, mit dem er seine Technologien zur Silizium- oder zur
Solarzellenproduktion direkt bewerten kann. |
|
Wir sehen: Nicht stärkere
Beleuchtung der Solarzellen, sondern kreative Erleuchtung tut not. Und zwar
nicht nur bei den Ingenieuren, sondern insbesondere auch bei Politikern, die
bisher alternative Energien eher behindert als gefördert haben. |
|
Was heißt und zu welchem Ende
studiert man Materialwissenschaft? |
|
|
Was es heißt, ist vielleicht
mit den vorhergehenden Kapiteln etwas klarer geworden. Aber zu welchem Ende
studiert man (und frau) Materialwissenschaft? Es ist kein einfaches Studium,
denn es ist interdisziplinär. Warum die Strapaze auf sich nehmen,
große Teile der Physik, der Chemie, der physikalischen Chemie, der
Mathematik, der Werkstoffkunde zu lernen und ingenieurmäßig, mit
einem Schuß Ökonomie und Ökologie, interdisziplinär zu
kombinieren? Warum soll man den rauhen Weg beschreiten - ein Börsenmakler
verdient (oder zumindest bekommt) doch oft viel mehr Geld als eine
Materialwissenschaftlerin? |
|
Die Antwort ist: |
|
|
Wer wissen möchte, was die Welt im Innersten
zusammenhält, und wer dieses Wissen
umsetzen möchte in die Herstellung neuer Materialien, in Prozesse und
Produkte, die besser sind als die alten, die neue Eigenschaften und Funktionen
haben; wer kreativ sein möchte; wer einige der größten
geistigen Leistungen der Menschheit - die Quantentheorie, die statistische
Thermodynamik - nutzen will, um sich die Erde untertan zu machen; wer
Wahrheiten finden (und nicht erfinden) will; wer den Schleier der Isis etwas
heben und nicht nur beschreiben, bewundern oder vermessen möchte; wer das
will (und kann): der studiert
Materialwissenschaft. |
|
|
/1/ |
R.E. Hummel, "Understanding
Material Science - History, Properties, Applications", Springer Verlag,
1997 |
/2/ |
Yttrium-Barium-Kupferoxid (chemisch
YBa2Cu3O7) wurde durch eine Entdeckung,
die 1980 die Welt der Physik und Materialwissenschaft erschütterte,
aus der Obskurität herauskatapultiert: Es ist bei der vergleichsweise
enorm hohen Temperatur von 77 K (= 200 0C) noch
supraleitend - der fühere Rekord lag bei 20 K. Warum, das
weiß bis heute so genau niemand; "theoretisch" sollte es so
etwas nicht geben. Die damit verbundenen technischen Konsequenzen sind noch
nicht abzusehen. |
/3/ |
Das "Finden" der Atome war
gar nicht so einfach; noch 1906 hat Ludwig Boltzmann, einer der ganz Großen der
Physik, Selbstmord begangen, weil ihm seine Fachkollegen (darunter auch Max
Planck) nicht
abnahmen, daß es Atome wirklich gibt. Mehr zur Entwicklung der
Materialwissenschaft findet sich unter
http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/amat/mw1_ge/index.html im
Kapitel 1
|
/4/ |
SQUID = superconducting
quantum interference device; ein Bauelement aus supraleitenden Materialien mit
dem man in extremster Empfindlichkeit Magnetfelder messen kann. Ein
SQUID ist so empfindlich, daß man die ultraschwachen Magnetfelder,
die beim Denken im Gehirn auftreten, bequem erfassen kann. Seine Wirkungsweise
ist nur im Rahmen der Quantentheorie faßbar. |
/5/ |
Die
Rede der
Ministerpräsidentin wie auch die
Rede des
Dekans (wirklich gut; ist auch von mir) ist unter
http://www.tf.uni-kiel.de/dekanat/berichte/berichte.html einsehbar. |
/6/ |
Im englischen gibt es silicon (=
Silizium; das Material der Mikroelektronik), silicone (= Silikon; das Material
das manchen Busen füllt) und silica (=
Siliziumdioxid, vulgo Quarz). Die Chance der richtigen Übersetzung ins
Deutsche bei Zeitungen und Zeitschriften ist nach Beobachtungen des Autors
ungefähr 1/3. Das Space Shuttle, beispielsweise, ist in Deutschland
meist mit Siliziumkacheln beschichtet, in den USA aber mit "silica
tiles". |
/7/ |
Nach allen Prognosen der
Wirtschaftsauguren wird spätestens im Jahre 2005 die Informations-
und Kommunikationsindustrie alle anderen Industriezweige überflügeln.
|
/8/ |
"Chips kann man am Markt
kaufen" (Heinz Nixdorf, 1987). "Nixdorf kann man
kaufen" (der Markt, 1988). |
/9/ |
Leider sind die oft
scheußlichen, häufig falschen und immer amerikanischen Wortgebilde
des Mikroelektronik-Slangs nicht immer durch griffige deutsche Bezeichnungen
ersetzbar. Die amerikanische "Waferfab" ist eben keine Waffelfabrik,
denn sie produziert keine "Wafer" (wafer = Waffel, Oblate; gemeint
sind Siliziumscheiben), sondern "Chips". "Chipfabrik"
wäre zwar richtiger, aber nicht unbedingt deutsch, und
"Schnitzelfabrik" trifft es auch nicht ganz. Es ist daher oft besser,
die amerikanischen Begriffe unübersetzt zu verwenden. |
/10/ |
Goethe; zahme Xenien. |
/11/ |
"HTML" (hypertext
mark-up language) wäre die ideale Repräsentationsform für die
parallelläufigen und vielschichtigen Texte Arno Schmidts.
|
/12/ |
Wie dick ist ein Hauch? Wenn wir auf
ein Stück Glas hauchen und den entstandenen Flüssigkeitsfilm sehen
können, liegt die Schichtdicke im Mikrometerbereich. Die Schichten und
Leitungen auf dem Chip sind viel kleiner. |
/13/ |
In Stichworten: Legt man eine
positive Spannung an das "Gate", werden die unter der Gate-Elektrode
liegenden positiven Ladungsträger (= elektronische Löcher) ins
Materialinnere getrieben; dies gibt den negativen Ladungsträgern (=
Elektronen) des "Sourcekontakts" die Möglichkeit in den
"Drainkontakt" zu fließen - es fließt Strom, der Schalter
ist auf "ein". Bei negativer Spannung am Gate sammeln sich die
Löcher unter der Gate Elektrode, der Weg für die Elektronen ist
versperrt, der Schalter steht auf "aus". |
/14/ |
Eine allgemeinverständliche
Darstellung der in der zweiten Hälfte der 70er Jahre von Stuttgart
ausgegangenen Häresie findet sich in: H. Föll und B.O. Kolbesen;
Agglomerate von Zwischengitteratomen (Swirl-Defekte) in Silizium - Ihre
Bedeutung für Grundlagenforschung und Technologie. Jahrbuch der Akademie
der Wissenschaften in Göttingen (1976) p.27. Die
Arbeit
ist im Internet abrufbar unter
http://www.tf.uni-kiel.de/matwis/amat/def_en/articles/swirl/swirl.html. Siehe
auch http://www.memc.com/ defectfree_frame.html. |
/15/ |
Si-Kristalle haben typischerweise
einen Durchmesser von 200 mm und sind bis zu 2 m lang.
Würden wir gedanklich die Silizium Atome durch Kohlenstoff Atome ersetzen,
hätten wir einen Diamant mit ca. 1.000.000 Karat. Leider (oder
gottseidank?) lassen sich Kohlenstoffkristalle in Diamantform nicht so einfach
herstellen wie Silizium-Kristalle. |
/16/ |
Takao Abe: A History and Future Of
Silicon Crystal Growth. "Semiconductor Silicon 1998", ECS
Proceedings Volume 98-1, 1998 |
/17/ |
H.Föll: Properties of
Silicon-Electrolyte Junctions and their Application to Silicon
Characterization. Appl. Phys. A53 (1991) S. 8 - 19 |
/18/ |
J. Carstens, R. Prange, G.S.
Popkirov and H. Föll: A Model for current oscillations at the Si-HF-system
based on a quantitative analysis of current transients. Appl. Phys. A
67-4 (1998) S. 459 - 467 |
/19/ |
V. Lehmann und H. Föll:
Formation Mechanism and Properties of Electrochemically Etched Trenches in
n-Type Silicon. J. Electrochem. Soc., 137 (1990) p. 653;
Patent erteilt. |
/20/ |
In einer Kooperation mit der Physik
werden diese Eigenschaften in der Arbeitsgruppe von Prof. Dichtel berechnet;
siehe auch F. Müller, A. Birner, U. Gösele, V. Lehmann, S. Ottow and
H. Föll: Structuring of Macroporous Silicon for Applications as Photonic
Crystals (Proc. Int. Conference on Porous Silicon, Mallorca 3/98);
Preis für bestes paper. |
/21/ |
Silke Rönnebeck, S. Ottow, J.
Carstensen, H. Föll: Crystal Orientation Dependence of Macropore Formation
in n-Si with Backside-Illumination in HF-Electroly2te. (Proc. Int. Conference
on Porous Silicon, Mallorca 3/98); Preis für bestes Poster.
|
/22/ |
Der Wirkungsgrad einer Solarzelle
gibt das Verhältnis der absorbierten Lichtenergie zur umgesetzten
elektrischen Energie an. Bei beliebig teuren Solarzellen aus optimalem Material
(zum Beispiel GaAs) beträgt er maximal ca. 30%; mit Silizium ist er
theoretisch auf ca. 25% limitiert. Bezahlbare Si-Solarzellen liegen bei
ca. 12%. |
/23/ |
Das ELYMAT Verfahren (ELectrolYtical
MetAl Tracer) wurde ursprünglich zur Qualitätskontrolle bei der
Chipproduktion entwickelt (V. Lehmann, H. Föll: Minority carrier Diffusion
Length Mapping in Silicon Wafers Using a Si-Electrolyte-Contact. J.
Electrochem. Soc., 135 (1988) 2831 E) |
/24/ |
"Du mußt steigen oder
sinken, du mußt herrschen und gewinnen oder dienen und verlieren, leiden
oder triumphieren, Amboß oder Hammer sein!" Goethe; aus dem
Kophtischen Lied. |
|
|