2.2.3 Quellen und Senken; globales und lokales Gleichgewicht

Damit bei einer beliebigen Temperatur im ganzen Kristall immer thermodynamisches Gleichgewicht vorliegen kann (globales Gleichgewicht) müssen atomare Fehlstellen erzeugt und vernichtet werden können.
Es müssen Quellen und Senken existieren, die mit kleinem Energieaufwand (sonst muß man beliebig lange warten) Leerstellen und Zwischengitteratome produzieren können.
Im bisher unterstelltem perfekten (=unendlich ausgedehntem) Kristall geht das grundsätzlich nicht!
Wir brauchen Defekte, im Minimalfall zumindest eine Oberfläche (Störung des "unendlichen" Kristalls).
In praktisch allen (nicht zu kleinen) Kristallen sind auch immer genügend Versetzungen und andere Defekte enthalten, um wenigstens bei hohen Temperaturen in vernünftigen Zeiten das globale Gleichgewicht einstellen zu können. Nur Silizium, dessen Kristalle heute vollständig versetzungfrei mit Durchmessern von 300 mm hergestllt werden, fällt (wie immer) aus dem üblichen Bild.
Bei "sehr tiefen" Temperaturen, wenn sich nichts mehr bewegen kann, geht aber in allen Kristallen gar nichts mehr. Die Defektstruktur ist ziemlich sicher nicht im globalen Gleichgewicht, dies muß aber für praktische Zwecke keine Rolle spielen. Ob, um ein willkürliches Beispiel zu geben, die Konzentration der Leerstellen beim Gleichgewichts-Wert von z.B. 10-14 cm-3 oder, 1000x höher bei 10-11 cm-3 liegt, ist für alle normalen Zwecke unerheblich - praktisch ist sie Null!
Spannend sind "mittlere Temperaturen". In diesem Bereich reicht die Beweglichkeit nicht mehr aus, um in ausreichender Zahl Quellen / Senken zu erreichen (die Diffusionslänge in dem betrachteten Zeitraum ist kleiner als der mittlere Abstand der Quellen / Senken); wohl aber um andere atomare Fehlstellen zu erreichen (die Diffusionslänge ist größer als der mittlere Abstand zwischen atomaren Fehlstellen).
Statt dem Idealzustand "globales Gleichgewicht" wird jetzt die zweitbeste Lösung sich einstellen, das lokale Gleichgewicht. Das heißt, es wird sich der Zustand einstellen, der bei den vorliegenden Randbedingungen die kleinste freie Enthalpie darstellt.
Beispiel: Die Randbedingungen sind: Es gibt nur Leerstellen; keine Möglichkeit an Senken zu verschwinden (=auszuheilen); mittlere Diffusionslänge jedoch größer als mittlerer Abstand zwischen Leerstellen. Damit können sich Doppelleerstelle, Dreifachleerstellen,...., allgemein: Leerstellencluster bilden (Das Wort Cluster, (gelegentlich auch Aggregat, association) verwendet man, wenn man sich auf die exakte Natur (z.B. Versetzungring, Pore (Void), Stapelfehlertetraeder,...) nicht festlegen will) - es bleibt zu untersuchen welche Verteilung an Einfach-Leerstellen und Leerstellen-Clustern die kleinste freie Enthalpie besitzt (bei const. Anzahl der Leerstellen).
Die Antwort gibt (u.a.) das Massenwirkungsgesetz (MWG). Bei der Herleitung der Doppelleerstellen-Konzentration über das MWG war ein globales Gleichgewicht nicht vorausgesetzt!
Aus der Reaktionsgl. (Kapitel 2.1.1)
1V + 1V 2V
ergab sich
Für beliebige Cluster mit n Leerstellen gilt für die Konzentration cnV analog
Diese Gleichungen gelten auch im lokalem Gleichgewicht, nur daß jetzt c1V eben nicht mehr die Gleichgewichts-Konzentration, sonder eine (in erster Näherung) konstante Konzentration der Leerstellen angibt.
Die Konsequenzen sind erheblich, betrachten wir z.B. Doppelleerstellen:
Im globalen Gleichgewicht nimmt c1V mit sinkender Temperatur stark ab, damit ist nach obiger Gleichung die Konzentration der Doppelleerstellen immer viel kleiner als die der Einfachleerstellen (Bei extrem schneller Abnahme von c2V mit sinkenden Temperaturen).
Im lokalem Gleichgewicht ist es genau umgedreht: Die Konzentration an Doppelleerstellen c2V nimmt mit sinkenden Temperaturen zu.
Allgemein ist es praktisch immer am günstigsten, alle "überschüssigen" Leerstellen in Cluster zu stecken - welche Sorten, wieviele in welcher Größenverteilung, das ist dann die schwierige Frage.

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