7.2 Ferromagnetismus und magnetische Domänen

7.2.1 Energieminimierung und Domänen

Freie Energie und magnetische Domänen

In einem ferromagnetischen Material zeigen nach bisheriger Erkenntnis alle magnetischen Moment in dieselbe Richtung. Damit wäre das Material ein sehr starker Dauermagnet.
Ein Stück Eisen oder Nickel, das nur so rumliegt (d. h. sich halbwegs im thermodynamischen Gleichgewicht befindet), ist aber in der Regel gar nicht aktiv "magnetisch", d. h. kein Dauermagnet. Es reagiert zwar passiv auf Magnetfelder, die man irgendwie gemacht hat, hat aber selbst kein Magnetfeld um sich rum.
Wir müssen wir uns offenbar fragen: Warum tarnt sich ein ferromagnetisches Material wie Eisen und scheint nach außen unmagnetisch zu sein? Und wie schafft es ein ferromagnetisches Material, mit hochgradiger Ordnung der magnetischen Momente im Innern, nach außen völlig unmagnetisch zu erscheinen?
Das Warum ist einfach: Ein Stück Eisen oder Nickel, das im thermodynamischen Gleichgewicht nur so rumliegt, hat per definitionem seine freie Energie G minimiert. Offenbar gehört zu diesem Minimum zwar ein hoher Grad an Ordnung bei den magnetischen Momenten, aber kein externes Magnetfeld.
Das kann man noch einfach verstehen: Ein Magnetfeld enhält, wie jedes Feld, eine Menge potentielle Energie. Ein schlaues magnetisches Material kann also den Energieterm U im Ausdruck G=UTS deutlich kleiner machen, wenn es sein externes Magnetfeld irgendwie "abschaltet".
Fragt sich jetzt nur wie ? Die naheliegende Antwort, daß die Ausrichtung der einzelnen magnetischen Momente verlorengeht, ist für Ferro- (etc.-) Magnetica falsch! Das würde zwar die Unordnung und damit die Entropie S massiv erhöhen, aber bei den paar ferromagnetischen Werkstoffen offenbar zuviel Energie U kosten. Deswegen gibt es nur einige wenige magnetische Werkstoffe (bei fast allen gewinnt eben doch die Entropie), aber bei denen gehört die Ausrichtung der magnetischen Momente dann unabdingbar zum Gleichgewicht.
Die korrekte Antwort auf das "Wie" ist: Es werden Defekte in der ansonsten perfekten Ausrichtung eingeführt, mit denen das Material dann so in magnetische Domänen eingeteilt werden kann, daß die Energie des Magnetfelds (und noch ein paar andere Energien) minimiert werden.
Diese magnetischen Domänen sind auch unter der Bezeichnung Weiss'sche Bezirke bekannt (benannt nach dem französischen Physiker Pierre-Ernest Weiss). Wir werden hier aber immer nur die Bezeichnung "Domänen" verwendnen.
Das nachfolgende Bild macht das generelle Konzept klar.
Magnetische Domänen
Links ist ein Material mit perfekter Ausrichtung der magnetischen Dipole im gesamten Volumen gezeigt. Es wäre ein starker Magnet mit einem entsprechenden großen magnetischen Feld im Außenraum.
Rechts sehen wir dasselbe Material, aber jetzt mit magnetischen Domänen. Die Feldlinien können sich im Inneren schließen; das externe Feld ist klein.
Ganz rechts ist es im Grunde dieselbe Anordnung, nur mit mehr Domänen. Damit könnte man das externe Restfeld noch stärker reduzieren.
Was wird's sein? Nun ja, oben haben wir behauptet, daß Defekte in der ansonsten perfekten Ausrichtung eingeführt werden. Wo sind sie denn?
Klar – zwischen den Domänen müssen Domänenwände sein, in denen sich die Magnetisierung von der einen zur anderen Richtung ändert. Es gibt davon zwei Sorten; wichtig ist vor allem die Blochwand. Die Néelwand spielt nur bei dünnen Schichten eine Rolle
Domänenwände
In Worten: Bei einer Blochwand dreht die Magnetisierungsrichtung aus der Ebene der M-Vektoren heraus, bei einer Néelwand dreht sie in dieser Ebene.
Klar ist auch: Eine Domänenwand ist ein zweidimensionaler Defekt in der Orientierung magnetischen Momente und besitzt deshalb Energie (eV/cm2 ).
Mit mehr Domänen und damit größeren Domänenwandflächen und damit größerer gesamter Domänenwandenergie könnte der Kristall zwar sein externes Magnetfeld immer mehr veringern, aber er muss auch den Preis in Form von Domänenwandenergie bezahlen. Bei irgendeiner Struktur gibt es ein Optimum – eben das Minimum der freien Energie!
Wenn man dann noch berücksichtigt, daß weitere Energiebeiträge auftauchen, können sehr komplexe Domänenstrukturen resultieren, die wir nur sehr schwer berechnen können. Die neben der Energie des externen Felds wichtigsten Energiebeiträge sind:
"Leichte Richtung": Die Orientierung der Dipole in einem Kristall möchte immer in der "leichten Richtung" liegen – z. B. <100> in Fe oder <111> in Ni. Kann sie das nicht, braucht's zusätzliche Energie. Damit wird die Domänenstruktur in Polykristallen nicht ganz einfach sein können.
In Richtung der Magnetisierung ändert der Kristall im allgemeinen auch noch seine Dimensionen – er wird i.a. kürzer, da die Bindung durch die magnetische Interaktion "verstärkt" wird. Magnetisierung verusacht also Dehnung, und diesen Effekt nennt man Magnetostriktion. Damit kommt bei ausgerichteten Momenten auch eine elastische Energie ins Spiel. Als wichtiger Effekt reagiert damit die Magnetisierung auf Verformung und "spürt" das Verzerrungsfeld um Defekte. Magnetostriktion ist nicht nur wichtig zum Verständnis der Domäneneigenschaften, sondern auch in der Technik; wir gehen aber nicht weiter darauf ein.
Domänenstrukturen zu berechnen ist damit sehr schwer. Das Material selbst aber hat keine Probleme damit, alle Beiträge zu berücksichtigen – es macht halt schlicht die Struktur mit der kleinsten freien Energie! Das sieht dann beispielsweise so aus:
Magnetische Domänen
Oben links ist ein Ni-Einkristall gezeigt; die Magnetisierungsrichtungen sind eingezeichnet. Das ist nicht so furchtbar verschieden von unserem Prinzipbildchen.
Das daneben ist "Trafoeisen", d. h. Fe mit ca. 3 % Si (hauptsächlich zur Verringerung der Leitfähigkeit). Man erkennt Körner des Polykristalls mit Domänen, die einen "Spagat" machen zwischen Orientierung in eine leichte Richtung und möglichst kleinem Feld.
Unten links ist eine amorphe GdCo Legierung gezeigt. Leichte Richtungern kann's nicht geben, das Domänenmuster ist recht hübsch.
Unten rechts zwei Körner des Materials, aus dem die (derzeit) stärksten Permanentmagnete gemacht werden: "NdFeB" (Eisen-Neodym-Bor) oder genauer gesagt Nd2Fe14B. Sieht ziemlich komplex aus, ist aber nur ein Ausdruck der Minimierung der freien Energie. Neodym (Nd) gehört zu den seltenen Erden im Periodensystem – eine Materialgruppe, die derzeit (2011) häufiger in den Schlagzeilen der Medien zu finden ist, da China 95 % der Weltproduktion kontrolliert und ohne seltene Erden die gesamte "High-Tech"-Produktion in Deutschland und anderen führenden Staaten sofort komplett zusammenbricht.
 
Magnetisierung mit Domänen
   
Was passiert jetzt, wenn wir an ein magnetisches Material mit einer Gleichgewichtsdomänenstruktur von außen ein magnetisches Feld anlegen?
Die Domänen, deren Magnetisierung halbwegs in Feldrichtung zeigen, gewinnen Energie; der Rest wird energetisch mehr oder weniger ungünstig.
Die Minimierung der freien Energie verlangt jetzt, daß die günstig orientierten Domänen größer werden, die ungünstig orientierten dafür kleiner.
Für große Felder erwarten wir, daß im wesentlichen nur noch eine Domäne mit Magnetisierung in Feldrichtung vorliegt.
Das kann im einfachsten Fall nur so aussehen:
Domain movement
——— ® Anwachsendes Feld in roter Pfeilrichtung ———®
Wie das Ganze real aussieht, ist unten gezeigt.
Movement of domains
Wir haben jetzt eine wesentliche Erkenntnis:
Offenbar müssen sich die Domänenwände bewegen, damit was passieren kann! Damit stellen sich folgende Fragen (mit angedeuteten Antworten):
  • Lassen sich Domänenwände einfach verschieben – oder von was hängt's ab? (Þ Kristallgitterdefekte!).
  • Wie schnell geht das verschieben? Steckt möglicherweise hier die Frequenzabhängigkeit der Ferromagnete? ( Þ Nicht sehr schnell; und Ja!
  • Geht das vorwärts und rückwärts genau gleich – oder gibt es Hystereseeffekte? (Þ Nein; und Ja!)
Den ersten Punkt müssen wir noch etwas genauer betrachten. Über die schon mal kurz erwähnte Magnetostriktion spüren Domänenwände Defekte im Kristall und bleiben dann gerne daran hängen. Sie werden, so sagt man, "gepinnt", d. h. wie mit einer Nadel (pin) lokal festgesteckt. Zum Losreissen braucht's dann zusätzliche Kraft=höheres externes Magnetfeld.
OK – wir gehen nicht in die Details, aber Domänenwände verschieben ist ein relativ mühsames Geschäft. Es geht weder besonders schnell noch besonders einfach, und die Konsequenzen sind weitreichend.
Die Frequenzabhängigkeit der magnetischen Suszeptibilität hängt nur von der Geschwindigkeit ab, mit der sich die Domänenwände verschieben lassen; sie ist generell recht schlecht. Schon im MHz Bereich wird's i. a. schwierig; nur in kleinen Spezialstrukturen ist vielleicht noch mal 1 GHz drin.
Bei der Optik geht schon lange gar nichts mehr. Deshalb schreibt man immer auch nur n=(er und nicht, wie es eigentlich richtig wäre, n=(er · m r, denn mr ist bei diesen Frequenzen schon längst =1
Alles wird ziemlich nichtlinear und wir erhalten Hystereseeffekte. Wir ausgeprägt sie sind, hängt von der Defektstruktur im Material ab.
Wir brauchen keine "komplexe magnetische Funktion" (obwohl man eine definieren könnte und das durchaus für spezielle Fälle auch tut). Magnetische Verluste kommen insbesondere auch nicht von einem Imaginärteil, sondern vom Hystereseeffekt.
Schauen wir uns nun eine Magnetisierungskurve an; für ein nach außen zunächst noch unmagnetisches Material. Es sieht etwa so aus:  
   
Virgin magnetization curve Hysterese, Remanenz und Koerzitivkraft
Komplette Hystereseschleife mit Definition von
Remanenz und Koerzitivkraft.
Für kleine externe Magnetfelder beulen sich die an irgendwelchen Defekten gepinnten Domänenwände nur etwas in die richtigen Richtungen aus. Die Magnetisierung M (oder der Fluss B) nimmt ungefähr linear mit dem Feld zu.
  Für größere Feldstärken reissen sich die am höchsten belasteten Domänenwände los und laufen durch den Kristall, bis sie am nächsten Defekt wieder gepinnt werden. Schaltet man das Feld jetzt ab, sind sie am neuen Platz gepinnt. Die ganze Chose ist also nicht reversibel, der Ausgangszustand wird nicht wieder erreicht.
  Bei sehr großen Magnetfeldern gibt es irgenwann nur noch eine Domäne; die Magnetisierungsrichtung in der Domäne ist aber immer noch in eine leichte Richtung des Kristall und nicht exakt in Richtung des angelegten Feldes.
  Bei sehr hohem Feld drehen sich die Moment schließlich auch noch in Feldrichtung, und damit ist Sättigung erreicht. Mehr geht nicht. Ein Bild dazu gibt's in einer Übungsaufgabe
    Dreht man des Feld wieder zurück, folgt die Magnetisierung einer Hysteresescheifle, die durch die Zahlenwerte von Remanenz und Koerzitivkraft halbwegs beschrieben wird.
     
Man kann sich jetzt fragen, warum das Material nach Abschalten des Magnetfeldes nicht immer seine Domänen wieder so justiert, daß das externe Feld Null ist – das braucht's doch zum Minimum der freien Energie?
Freilich. Aber es braucht manchmal auch ein bißchen Energie, um diesen Zustand einzustellen. In andern Worten: Unsere hartmagnetischen Werkstoffe mit ausgeprägter Hysterese bleiben erstmal in einem metastabilen Zustand hängen. Um ins absolute Minimum zu gelangen, muss man entweder sehr lange warten, oder etwas Energie zuführen.
Bevor wir uns aber den Begriffen "hartmagnetisch" und "weichmagnetisch " näher zuwenden, schauen wir uns schnell noch die Thematik " magnetische Verluste" näher an.
     
Zeit für eine Übung
Übungsaufgabe
Aufgabe 7.2-1
Fragebogen
Schnelle Fragen zu 7.2.1
     

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)