8.3.3 Zustandsdichte, Fermiverteilung, effektive Zustandsdichte und Boltzmann-Näherung

Entstehung der Bänder

Wir fangen, um Zustandsdichten zu verstehen, nochmal ganz von vorne an:
Wir haben ein Atom, z. B. ein Si-Atom. Wir lösen die Schrödingergleichung für seine 14 Elektronen und bekommen ¥ viele Lösungen oder Zustände yn,l,m(x,y,z), die nach den Quantenzahlen n, l, m sortiert werden, außerdem eine Energie En,l,m für jeden Zustand.
Wir wissen, dass auf jedem Zustand zwei und nur zwei Elektronen sitzen können: Eines mit "Spin rauf" (bzw. vierte Quantenzahl s = +½) und eines mit "Spin runter" (bzw. s = –½).
Bei näherer Betrachtung der Lösung stellen wir fest, dass verschiedene Zustände dieselbe Energie haben können. Auf einem Energienievau haben dann mehr als zwei Elektronen Platz; wir nennen das betreffende Energieniveau dann x-fach entartet.
In einem schematischen Potentialtopfbild stellen wir das so dar:
   
Potentialbild Atom
Gezeigt sind die Energieniveaus der Elektronen des Atoms in einem Potentialtopf . Die Elektronen füllen "von unten her", d. h. von den tiefsten Energien her, die verfügbaren Zustände oder Plätze auf.
    Ein Energieniveau wird häufig entartet sein, es gibt dann doppelt so viel Plätze (Spin rauf / runter) wie der jeweilige Entartungsgrad angibt.
    Die Wellenfunktionen der Zustände habe eine typische Gestalt; sie codieren hier die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons. Im Schemabild sind zwei Beispiele für Wellenfunktionen gezeigt
    Auf irgendeinem Energieniveau ist dann das letzte Elektron untergebracht – im Schemabild sind das 2 durch grüne Pfeile symbolisierte Elektronen. Bei Si wäre das das 3p2-Niveau, d. h, das Energienieveau das zu den Quantenzahlen n = 3, l = 1 = s gehört, und auf dem 2 Elektronen sitzen. Diese beiden Elektronen sind schematisch durch die grünen Pfeile mit Spin rauf / runter dargestellt.
 
Jetzt bilden wir einen Silizium-Kristall . Dazu nehmen wir viele Atompotentialtöpfe und überlagern sie im richtigen Bindungsabstand graphisch und rein qualititativ. Wir bekommen das schon oft verwendete schematische Bild:
Die "oberen" Energieniveaus müssen in zahlreiche Einzelniveaus aufspalten, damit die 1024 oder so Elektronen des Kristalls genügend Zustände finden – nur mit Entartung eines Energieniveaus ist das nicht zu schaffen.
Entstehung der Si Bänder
Außerdem muss die Energie der Elektronen in der entstehenden Bandstruktur tiefer sein können als im Einzelatom – sonst gäbe es keinen Grund, warum die Atome Bindungen eingehen sollten.
Im rechten Teil des obigen Bildes ist gezeigt, wie das wirklich geht.
Die beiden "letzten" besetzten Niveaus beim Si-Atom sind 3s2 und 3p2. Bringt man die Atome von Abstand r = ¥ auf kleinere Abstände, beginnen sie sich so um r = 1 nm zu "spüren". Mit kleiner werdendem Abstand spalten die beiden Einzelniveaus auf in jeweils zwei durch eine Energielücke , d. h. zustandsfreie Zone getrennte "Bänder".
Beim tatsächlichen Bindungsabstand (= Energieminimum unter Berücksichtigung der hier nicht gezeigten abstoßende Kräfte) entsteht das Valenzband und das Leitungsband, getrennt durch eine Energielücke von 1,1 eV) jeweils aus einer Mischung von 3s- und 3p-Zuständen (den mal kurz erwähnten sp3 -Hybridorbitalen ).
Die Zustände im Valenzband liegen energetisch tiefer als im Atom. Bindung und Kristallbildung bringt also tatsächlich einen beträchtlichen Energiegewinn für die 3p-Elektronen des Einzelatoms, und selbst die 3s-Elektronen können sich energetisch noch etwas "verbessern".
Wie kommen wir jetzt auf die Zustandsdichte in den Bändern? Erstmal durch Rechnen!
 

Zur Berechnung der Zustandsdichte
 
Was unter dieser Überschrift steht, ist nur für das Verständnis wichtig. Gläubige, die das Ergebnis ohne weiteres akzeptieren, können das alles überschlagen. Wissen muß man die Details jedenfalls nicht.
 
Was wir tun müssen ist klar: Wir schreiben das in drei Dimensionen periodische Potential der Elektronen hin (also eine passende Formel für die oben gezeigten Töpfe), setzen die Formel in die Schrödingergleichung ein, und lösen sie dann.
Das geht – mit diversen Tricks und Näherungen. Wer mal sehen will, wie man anfängt, betätigt die Links: Noch relativ einfachMit Fouriertransformationen.
Wir haben das übrigens im Ansatz auch schon mal gemacht: In Übung 2.3.1, die wir aber "damals" noch nicht so ernst genommen haben.
Was haben wir in dieser Übung gemacht? Das schauen wir uns jetzt nur der Spur nach an; es wird uns aber sehr deutlich machen, wie man zu den Zustandsdichten in den Bändern kommt.
1. Schritt: Wir haben statt einem periodischen Potential in einer Näherung (noch vollständig unklarer Güte), erstmal ein konstantes Potential genommen, und damit erstmal nur eine eindimensionale Schrödingergleichung aufgestellt.
2. Schritt: Löse die Schrödingergleichung. Die Lösungen waren einigermaßen einfach zu erhalten. Wir bekamen (erweitert auf dann drei Dimensionen) die Wellenfunktionen oder Zustände:
y(r)  =  æ
ç
è
1
L
ö
÷
ø
3/2 · exp (i · k · r)

kx = ±   nx · 2p
L
  ky = ±   ny · 2p
L
  kz = ±   n z · 2p
L

E  =  2 · k x 2
2me 

Die Quantenzahlen sind die nx,y,z die auf den Wertebereich nx,y,z = 0, ±1, ±2, ...ny beschränkt sind. Wir haben also formal folgende Zustände und Energien
  • ynx, ny, nz( r) = yk (r).
  • E nx, ny, nz = Ek
wobei wir als Index für die Quantenzahlen der einfacheren Schreibweise wegen auch gleich den hier diskreten Wellenvektor k als eine Art vektorieller Quantenzahl schreiben.
3. Schritt: Interpretation der Lösungen als ebene Wellen mit Impuls k und rein kinetischer Energie E = 2 · kx 2 / 2me. Das interessiert uns hier aber nicht mehr so sehr.
4. Schritt: Berechnung der Energieniveaus und des Entartungsgrades.
Das ist der Punkt, an dem wir hier besonders interessiert sind. Die Vorgehensweise ist einfach: Wir fangen bei den kleinstmöglichen k-Werten an und berechnen jeweils die Energie aus obiger Formel. Dabei fällt uns sofort auf, dass praktisch immer Entartung vorliegt, da ein-und derselbe Zahlenwert für k x2 und damit E sich aus verschiedenen k's ergibt:
Quantenzustand Energie
(× Konstante )
Zustände Zahl der e
pro E
nx ny nz
0 0 0 0
1 2
±1
0
0
0
±1
0
0
0
±1

1
2
2
2

6

12
±1
±1
0
±1
0
±1
0
±1
±1

2
4
4
4

12

24
±1 ±1 ±1 3   8 16
±2
0
0
0
±2
0
0
0
±2

4
2
2
2

6

12
Weiter ohne Details
2 1 0 5     48
2 1 1 6     ?
2 2 0 8     ?
2 2 1
9
   
?
3 0 0    
und so wie weiter?
Zeichnet man das schematisch auf, erhält man das folgende Energie und Besetzungsschema:
Energieniveaus im Kastenpotential
Damit haben wir alles was wir brauchen: Wir halten fest.
  1. Schon ein extrem einfaches Potential gibt uns ein "kompliziertes" Energieschema. Wir haben alle Energien von "0" bis "10" – außer der Energie "7". Warum das so ist, ist klar: "7" kann nicht als Summe dreier Quadratzahlen dargestellt werden.
  2. Der Entartungsgrad und damit die Zahl der Plätze N pro E-Niveau ist von E-Niveau zu E -Niveau recht verschieden - wir haben die Sequenz 1 - 6 - 12 - 8 - 6 - ....
  3. Auf Anhieb ist nicht so recht klar wie's weitergeht - es ist kein Bildungsgesetz für den Entartungsgrad erkennbar.
Der dritte Punkt ist aber etwas irreführend. Aus der Abzählung wie in der Tabelle vorgenommen, läßt sich zwar in der Tat kein Bildungsgesetz für Energien und Entartungsgrad erkennen, aber wenn man ein bißchen genauer hinschaut findet man eine einfache Formel für die Zustandsdichte D(E) = dN/dE , die für nicht zu kleine Energien eine gute Näherung darstellt.
D( E)  =   1 
Vkrist
 ·   N(E + DE) – N(E)
DE
 =  1 
Vkrist
 · dN( E)
dE
  =   (2 · me)3/2
2 · p2 · 3
· E 1/2
In Worten: Im Bereich E und E + DE gibt es D(E) · DE Zustände und damit genau doppelt so viel Plätze pro cm3 für Elektronen
Mehr wollten wir eigentlich gar nicht wissen.
Wie gut ist denn die Näherung mit konstantem Potential oder, wie man das allgemein nennt, die Näherung des "freien Elektronengases"?
Erstaunlich gut! Aber notgedrungen doch noch weit weg von der Realität. Eine reale Zustandsdichte sieht zum Beispiel so aus:
Zustandsdichte von Ge
Woher hat man diese Kurven? In der Regel sind sie gemessen. Wie, das lassen wir mal dahingestellt.
Heutzutage kann man Zustadsdichten von nicht zu komplexen Kristallen aber auch hinreichend genau rechnen – allerdings aber nicht mehr "von Hand".
Was immer sich ergibt: das Prinzip ist dasselbe wie beim freien Elektronengas. Dass nicht immer alles in einfachen Formeln ausgedrückt werden kann, ist halt so.
Das einzige was man sich merken muss ist: Die Zustandsdichte (in Form einer Kurve) eines (Halbleiter) Materials ist letztlich ein "Materialparameter". Hat man diesen Parametereinmal gemessen oder gerechnet, hat man ihn für alle Zeiten.

   
Fermiverteilung, effektive Zustandsdichte und Boltzmann-Näherung
   
Wie groß ist die Dichte nL der Elektronen im Leitungsband eines Halbleiter mit jetzt gegebener Zustandsdichte?
Einfach: Die Antwort auf eine Frage dieser Art ist immer dieselbe: (Volumen)dichte der Plätze (N(E) = D(E) · DE ) mal Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron draufsitzt (Fermiverteilung; f(E; EF, T) und dann aufsummieren (= integrieren). In Formeln also
n L  =  ¥
ó
õ
EL
D(E) · f(E;EF, T) · dE
Für Puristen: Wir dürfen bis ¥ integrieren, da die Fermiverteilung bei großen Energien sowieso alles auf null setzt. Das sieht man ganz gut in dem folgenden Bildchen:
Zustandsdichte 
 mal Fermiverteilung
Für alle: Man tut gut daran, sich die Zeit zu nehmen, um dieses Bildchen gut zu durchdenken und wirklich gut zu verstehen – und zwar bezüglich seiner Aussage, wie nL rechnerisch zustandekommt.
Wir machen uns das Leben einfach und benutzen zwei Näherungen:
  1. Die Boltzmann-Näherung f(E;EF, T) » exp[–(EEF)/(k BT)]. Das ist eine gute Näherung, solange die Fermienergie einige kBT unter der betrachteten Energie E liegt.
  2. Die Näherung der effektiven Zustandsdichte. Das ist eine gute Näherung, solange die Fermienergie einige kBT unter der betrachteten Energie E liegt – s.o. Wir ersetzen das Integral dann durch die simple Formel:
    n L  »  Neff · exp[–(ELEF)/(k BT)]
Für die 2. Näherung benutzen wir schlicht die Tatsache, dass ein bestimmtes Integral letztlich eine Zahl ist, und die kann man unter den gegebenen Umständen auch wie gezeigt schreiben. Damit müssen wir jetzt als neuen (und einfacheren) Materialparameter die effektiven Zustandsdichten Neff für die verschiedenen Halbleiter bestimmen – getrennt für Leitungs- und Valenzband; statt einer Kurve nur noch eine Zahl.
Das tun wir durch Nachschauen in der Literatur. Hier sind die wichtigsten effektiven Zustandsdichten; für Si auch noch mit der (immer vorhandenen) Temperaturabhängigkeit:
Halbleiter   Effektive Zustandsdichte (in 1018 cm–3)
Leitungsband Valenzband
Silizium (Si) 24 15
Germanium (Ge) 10 6
Galliumarsenid (GaAs) 0,5 7
Galliumnitrid (GaN) 0,5 3
T / K 100 200 300 500 1000
Silizium: Neff(T)
(in 1018 cm–3)
4,59 13,0 23,9 51,3 145
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die effektiven Zustandsdichten im Leitungs- und Valenzband etwas verschieden sind, werden aber, um die Dinge einfach zu halten, diese Unterschiede in Zukunft ignorieren.
Wir nehmen auch noch gerade so zur Kenntnis, dass man, je nachdem, wo man nachschaut, etwas verschiedene Zahlen findet. Ab und zu wird die Zustandsdichte auch noch mal mit verbesserten Methoden nachgemessen; wenn man es genau wissen will, kommt man also nicht darum herum, erst mal die neueste wissenschaftliche Literatur zu konsultieren.
Wir beschließen dieses Kapitel mit den drei Grundformeln, die wir noch sehr oft brauchen werden:
Dichte neL der mit Elektronen besetzten Plätze im Leitungsband
           
  neL   =  Neff · exp( ELEF
kBT
 )
            
Dichte nhV der Löcher, also der nicht besetzten Plätze im Valenzband
           
  nhV   =  Neff · exp( EFEV
kBT
 )
           
Massenwirkungsgesetz
           
  n eL · nhV   =  Neff2 · exp( ELEV
kBT
 )  = const.(T)       
Das gibt uns Gelegentheit für eine schöne Übungsaufgabe:
Übungsaufgabe 8.3-2
Massenwirkungsgesetz
Außerdem haben wir natürlich noch die schnellen Fragen:
Fragebogen
Schnelle Fragen zu 8.3.3

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© H. Föll (MaWi für ET&IT - Script)