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Betrachten wir ein beliebiges Material oder Materialsystem und sein Verhalten
im Laufe der Zeit. Dabei unterstellen wir "normalen" Betrieb und betrachten nur Alterungsphänomene die eher
unerwünscht sind (also nicht z.B die Alterung beim Wein). |
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Wir betrachten damit keine Materialien, deren Nutzen oder Zweck ausschließlich darin
besteht, daß sie selbst oder ihre Eigenschaften sich im Laufe der Zeit ändern - z.B. kompostierbare Plastikbehälter
oder Brennstäbe im Kernreaktor. Wir wollen auch nicht Systeme betrachten, die sich aus ganz elementaren intrisischen
und nicht beeinflußbaren Eigenschaften zeitlich ändern, z.B. radioaktive Isotope in Strahlungsquellen oder in
Atomsprengköpfen. |
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Wir wollen aber schon Materialien betrachten, die zwar im normalem Betrieb schnell und berechenbar
altern - Autoreifen, Fräsköpfe, Schuhsohlen, Bremsbeläge - wo es aber zumindest dem Anwender, wenn schon
nicht dem Hersteller, lieber wäre, das Material würde bei unveränderten Eigenschaften nicht gar so schnell
altern. |
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Normaler Betrieb kann nun vieles bedeuten. Die Skala reicht vom unbewegten und unbelasteten
(oder besser, nur durch das eigene Gewicht belastete) Vorhandensein (z.B. Fensterglas) bis zur gezielten Höchst- oder
Extrembelastung. Dies können z.B. extreme mechanische Lasten in Hochleistungstriebwerken, extreme elektrische Spannungen
und Ströme, extreme Temperaturen oder extrem aggressive chemische Umgebungen sein. |
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In den Extremfällen werden wir davon ausgehen, daß die Materialien nicht allzu lange
halten; die Materialforschung und Entwicklung dreht sich dann im Grunde nur noch um die Alterungs- und Degradationseffekte.
Man könnte das Wort "Extrembelastung" auch durch den Begriff "An der Alterungsgrenze belastet"
ersetzen. |
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Wir könnten uns jetzt auf die Alterungsphänomene beschränken, die unerwartet
sind, die man also nicht unmittelbar versteht, und gegen die man daher auch keine richtige Vorsorge treffen kann. |
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Dann sind wir aber schon fertig, denn was wir nicht verstehen, können wir auch nicht näher
beschreiben. Die uns allen geläufige Tatsache, daß Materialien altern und oft aus uns unklaren Gründen unerwartet
kaputtgehen, kann unverstandene Phänomene enthalten, muß
es aber nicht. In den meisten Fällen unerwünschtem Alterns bei normalem Betrieb
eines Systems ist es eher wahrscheinlich, daß der Grund dafür in einem der folgenden Szenarien liegt: |
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1. Der Alterungseffekt für das betreffende Material war zwar verstanden
und im Detail bekannt, wurde aber bei der Konstruktion übersehen oder schlicht ignoriert.
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| Gebrochener Fahrradrahmen - lebensgefährlich!- |
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Das gilt z.B. mit einiger Sicherheit bei Billigfahrrädern, Videobändern oder Haushaltsartikel. |
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2. Der Alterungseffekt für das betreffende Material war im Prinzip, aber nicht
im Detail bekannt und verstanden, bei der Konstruktion wurde deshalb nur mit ungefähren Parametern gerechnet, die rückblickend nicht gut genug waren. | |
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Kollabierte "schwangere Auster" in Berlin |
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Einige Korrosionsphänomene die zu spektakulären Einstürzen führten - z.B. beim Dach
der Kongresshalle in Berlin - fallen darunter. | |
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3. Das System wurde weit über die eigentliche erwartete
Betriebsdauer hinaus benutzt. |
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Ein schönes Beipiel dafür ist die alte Boeing 707, der vor Hawaii das halbe
Kabinendach abfiel (wg. "Materialermüdung"),
so daß sie als Kabrio weiterflog - aber so unglaublich das angesichts der Bilder erscheint, noch sicher landete. Dabei
wurde "nur" eine Person getötet! |
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"Courtesy: National Transportation Safety Board" |
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"Courtesy: National Transportation Safety Board" |
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4. Der Alterungseffekt für das betreffende Material war zwar gut bekannt und verstanden,
bei der Kostruktion wurde die Alterung aber gezielt in Kauf genommen oder sogar mit
Absicht eingebaut, um die Lebensdauer des Systems auf einen vorgegeben Zeitraum zu beschränken. |
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Schließlich sollen Gebrauchsgegenstände nicht ewig leben! |
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Ein gutes Beispiel sind Autokarosserien, die früher oder später - aber in berechenbaren Zeiträumen
- durchgerostet sein werden. | |
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5. Der Alterungseffekt war gut bekannt, es gab aber keine wirksamen
oder bezahlbaren Gegenmaßnahmen. | |
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Mit freundlicher Genehmigung von "Werner" (Rötger Feldmann) |
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Bestimmte Schweißnähte in den Rohren von Kraftwerken fallen darunter, die eine nutzbare Lebensdauer
von ca. 10 Jahren haben und die man gerne - auch mit viel Geld - haltbarer machen würde, so man es denn könnte. |
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Es hilft nichts - es muß planmäßig erneuert werden, falls man die Katastrophe nicht planmäßig
erleben will. | |
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6. Der Alterungseffekt war gut bekannt und in die Konstruktion aufgenommen, aber statistische Effekte führen zu Ausreißern. |
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Die Verteilung der Mikrorißlängen zum Beispiel, die die max.
Bruchspannung bestimmen, ist ihrer Natur nach eine statistische Verteilung - das
heißt, die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein eines zu großen
Mikrorisses in irgendeinem von vielen eigentlich identischen Bauteilen wird niemals exakt gleich Null sein.
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Deshalb werden Materialien überprüft - als Rohmaterial und im Betrieb - aber auch
die Wahscheinlichkeit, daß man alle Risse findet, die zu groß sind, ist nicht exakt
gleich Null. Die Wahrscheinlichkeit, daß im Betrieb ein Bruch auftritt, kann damit zwar sehr klein, aber niemals exakt gleich Null sein. |
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Wenn dann noch dazu kommt, daß es auch immer eine endliche Wahrscheinlichkeit für
eine katastrophale Folge eines Bruches gibt, lassen sich Großkatastrophen, wie geschehen beim Bruch eines ICE
Radreifens oder einer Triebwerksaufhängung an einen Jumbojet, nie mit Sicherheit
vermeiden - es bleibt das berühmte Restrisiko. |
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Bei dem Disaster in Eschede, hat man aber auch durch Fahrlässigkeit und Schlamperei noch
kräftig nachgeholfen. |
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Die Folge eines gebrochenen Radreifens |
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News summary We studied press releases from the District Attorney's
office (Staatsanwaltschaft Lüneburg) [1] and the Deutsche Bahn AG [2], both of which contained comments and expert
testimonies. The Fraunhofer Institute LBF Darmstadt (sister of the FHG-IZfP, Fraunhofer's NDT Institute Saarbrücken)
presented 300 pages of expert testimony and another 300 pages of literature references. A cracking
inside the ring of the wheel was responsible. There was no indication of material or production failure.
This crack was caused by excessive load and wear. When ICE began operations, there was
no certification in place that would document appropriate design and reliability. Moreover no fracture mechanic calculation
was done that could prove the strength of the wheel during its lifetime. According to the experts such wheels should not
be operated at less than 880 mm diameter (new condition = 920 mm), subject to annual testing for inner and
middle zone cracks. (An important NDT fact!) The diameter of the accident wheel was 862 mm. The limit set by Deutsche
Bahn is 854 mm. We interviewed District Attorney Jürgen Wigger, who explained that the wheel in question
was first put into operation in 1994 and ran 1,8 Mill km until the accident in June 1998. In terms
of assessing responsibility for the accident, it is significant that during its 4 years of operation, the wheel was never tested.
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7. Der Alterungseffekt ist bekannt, aber in seinem Mechanismus nicht sehr gut verstanden.
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Man kann dann empirische Vorsorge treffen, hat aber keine Garantie für die gewünscht
Lebensdauer. Der Ausfall von integrierten Schaltungen, Transistoren oder Kondensatoren fällt darunter - irgendwann
schlagen z.B. die isolierenden Dielektrika aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen elektrisch durch. |
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8. Der Alterungseffekt war unbekannt, wird aber nachträglich verstanden.
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Dies war zum Beispiel bei spektakulären Unfällen der ersten Düsenjets der Fall,
als bestimmte Phänomene der Materialermüdung noch nicht bekannt waren. |
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The Seattle Museum of Flight
Comet 4C The De Haviland Comet was the first operational jet airliner. It
began regular service in May of 1956. Its initial success was tarnished by a series of crashes that were ultimately
attributed to metal fatigue (= Ermüdung) and a fuselage design that allowed small cracks to quickly propagate and cause massive failure of the airframe. After the cause
of the crashes was determined, De Haviland redesigned and lengthened the original Comet to produce the Comet 4. By
that time, however, the Boeing 707 and Douglas DC-8 were in service, and the smaller capacity and lower speed
of the Comet were not competitive. The elegant, streamlined nose section of the Comet did live on in the French Carvelle airliner.
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Das ist schon eine lange Liste von Szenarien, die bei normalem
Betrieb eines Systems zu Ausfall durch Alterung führen können. Zum normalen Betrieb kommt aber immer noch das
Unerwartete, Übersehene oder Unerkannte. Auch diese Liste ist lang und oft nicht überschaubar: |
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Nicht nur Erdbeben oder Wutausbrüche bewirken unvorhergesehene zusätzliche mechanische
Spannungen in Haushaltsgegenständen - das können auch fast unmerkliche Vibrationen, kleine schnelle Stöße
(Türzuschlagen) oder Temperaturwechsel tun, die weiter nicht auffallen aber im Laufe der Zeit eine Wirkung zeigen. |
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Strahlung ist immer da, wird aber oft ignoriert. Dabei ist nicht nur normales Licht zu betrachten,
sonder auch die ultraviolette (UR) oder Infrarotstrahlung (IR). Auch die natürliche Radioaktivität und die Höhenstrahlung können
Einfluß nehmen sowie vielleicht (aber letztlich wohl kaum) der Elektrosmog - die elektromagnetische Strahlung aus Fernsehen,
Hörfunk, Handys, Hochspannungsleitungen, etc. |
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Mit am wichtigsten ist die chemische Umgebung: Der Sauerstoff
in der Luft ist chemisch äußerst aggressiv, aber Luft ist nicht gleich Luft, sie hat auch verschiedene und wechselnde
Gehalte an Luftfeuchtigkeit und noch diese und jene Spurenkomponenten. |
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Alle Arten von Flüßigkeiten oder Kontaminationen sind zu betrachten, die über
die Oberfläche unser Material im Laufe der Zeit beeinflussen können. |
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Besonders schwierig wird es, wenn zwei Einflußfaktoren
in unklarer Weise zusammenwirken. Besonders berühmt ist in diesem Zusammenhang die Spannungsrißkorrosion,
d.h. die Beobachtung, daß manche Materialien manchmal sehr viel schneller (entlang der Korngrenzen) korrodieren, wenn
sie unter mechanischer Spannung stehen. |
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© H. Föll (MaWi 1 Skript)