8.1.3 Merkpunkte zu Kapitel 8.1: Plastische Verformung und Versetzungen

Plastische Verformung kann immer nur durch blockweises Abgleiten verstanden werden (und nicht etwa durch individuelle Atombewegungen).
Blockgleitung
Ein direkter Mechanismus - wie gezeigt - würde Scherspannungen in der Größenordnung von ganz grob 10 % des E- oder G-Moduls benötigen.
Reale Kristalle verformen sich aber schon plastisch bei Spannungen, die um mehrere Größenordnungen kleiner sind!  
Die entscheidenen Frage ist: Was bestimmt die Fließgrenze Rp, d.h. die minimale mechanische Spannung, ab der plastische Verformung beginnt. Rp ist im übrigen (bis auf einen Zahlenfaktor) so ziemlich dasselbe wie "Härte".  
Konsequenz: Plastische Verformung erfolgt immer durch die (Erzeugung und) Bewegung von Versetzungen.  
Versetzungen sind im Prinzip simple eindimensionale Defekte, trotzdem ist plastische Verformung mit Versetzungen ein sehr komplexer Vorgang.  
 
Wichtige Eigenschaften von Versetzungen sind:  
Burgers- und Linienvektor; 
Gleitebene

Charakterisierung durch Burgesvektor b (i.d.R. kleinstmöglicher Translationsvektor des Gitters) und Linienvektor t.  
Versetzungsbewegung erfolgt in der durch b und t aufgespannten Gleitebene. Gleitebenen sind i.d.R. die dichtest gepackten Ebenen des Kristalls. Damit sind die möglichen Versetzungsstrukturen und Verformungen geometrisch eingeschänkt.  
Beliebige dreidimensionale plastische Verfomung benötigt mindestens 5 Gleitsysteme = kristallographisch verschiedene Kombinationen von Burgersvektor und Gleitebene. In fcc Kristallen gibt es 12 Gleitsysteme (4 Ebenen × je drei b - Vektoren; Bild rechts).  
Die Linienenergie einer Versetzung ist » Gb2 » 5 eV/ |b|; Versetzungen sind damit niemals Gleichgewichtsdefekte. Der Kristall wird deshalb versuchen, die Gesamtlänge aller Versetzungen, d.h. die Versetzungsdichte rVer zu minimieren.  
Versetzungen können nicht im Kristall enden, sondern nur an anderen Defekten und auf Oberflächen / Grenzflächen.  
     
Scherspannungen in der Gleitbenen üben auf die Versetzung eine Kraft FV senkrecht zur Linienrichtung aus; die Versetzung wird sich bewegen, sobald diese Kraft eine gewisse Mindestgröße überschreitet. Die Kraft pro Längeneinheit ist durch die nebenstehende einfache Formel hinreichend gut gegeben.  
FV
l
 =  t · b
       
Damit ist folgender Satz "bewiesen"  
     
Plastische Verformung erfolgt sobald in den verfügbaren Gleitebenen eine kritische Scherspannung tkrit überschritten wird
.
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Diese kritische Scherspannung bestimmt ziemlich unmittelbar die Fließgrenze Rp; sie kann in weiten Grenzen durch geeignete Eingriffe in das Gefüge manipuliert werden.
Optimierung von tkrit ist die Grundlage der gesamten Metallurgie und damit der Zivilisation.  
 

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© H. Föll (MaWi 1 Skript)